Hallo Sonnenschein
Arbeitet man in einem Team, kann es durchaus vorkommen, dass man sich nicht mit allen Teammitgliedern gleich gut versteht. Die einen mag man richtig gut, mit anderen kann man super zusammenarbeiten, wieder andere sind ganz okay oder einfach nur da und dann gibt es noch denjenigen, den man kaum erträgt.
Letzterer ist bei uns erst kürzlich zum Team gestossen und wir harmonieren überhaupt nicht. Die Person ist mir von Anfang an unsympathisch. Sie hinterlässt einen katastrophalen ersten Eindruck und lässt es sich nicht nehmen, diesen wieder und wieder zu bestätigen. Ich versuche vor jeder gemeinsamen Schicht wieder offen und wohlgesinnt zu sein, doch es gelingt mir immer seltener.
Ich frage mich, was es wohl sein könnte, das mich so auf die Palme bringt. Wo wird mir der Spiegel so vorgehalten, dass ich in die Luft gehen könnte? Ist es die besserwisserische Art? Das Nur-von-sich-erzählen? Die ewige Fragerei, nur um letztlich eine Geschichte zu erzählen, die mit der aktuellen Situation wenig bis gar nichts zu tun hat? Nehme ich mich so wichtig, wie mein Gegenüber es tut? Ist es wirklich nur die beobachtete Respektlosigkeit? Belüge ich mich damit nicht selbst?
Anfangs weiche ich dem neuen Teammitglied möglichst aus. Ich beschäftige mich, suche Aufgaben in einem anderen Gebäudeteil, gehe öfter zur Toilette und reisse mich zusammen. Lange wird das aber nicht gutgehen. Ich bin eine direkte und ehrliche Person. Sobald jemand respektlos wird, muss ich etwas sagen. Ich befürchte eher früher als später wird es zwischen uns richtig knallen.
Hinter ihrem Rücken lästere ich über besagte Person. Ich äussere Bedenken, denke destruktiv und sammle Beispiele für Fehlverhalten. Sie hat eine Kundin auf ihre Figur reduziert. Sie spricht herablassend über ausländische Staatsbürger. Ich bin eine direkte und ehrliche Person. Ich nehme mich an der eigenen Nase und bitte unseren Neuzugang um ein Gespräch bei Schichtübergabe.
Dieser nimmt sich Zeit, kommt sogar extra früh und schaut mich erwartungsvoll an, als wir unter vier Augen sind. Er hat keine Ahnung, worum es gehen könnte. Ich atme tief durch.
Ich beginne das Gespräch mit einer Entschuldigung. Schliesslich soll das hier konstruktiv bleiben und im Idealfall in einer Klärung enden. Ich entschuldige mich dafür, dass ich mittlerweile mit Vorbehalten auf jede Regung meines Gegenübers achte. Dafür, dass ich ihm keine Chance mehr gebe und Verhalten als untragbar erachte, welches ich bei anderen ohne grosses Wimpernzucken dulde.
Gleich darauf erkläre ich ziemlich genau in diesen Worten: "Du warst mir von Anfang an extrem unsympathisch und hast einen ganz schlechten ersten Eindruck hinterlassen." Sofort sehe ich, wie sehr meine Worte die Person vor den Kopf stossen. Schnell, aber bedacht, berichte ich von meiner Wahrnehmung, erkläre meine Interpretationen der letzten Vorfälle und was mein Hauptproblem ist: Ich beobachte Respektlosigkeit und bin damit absolut nicht einverstanden.
Es funktioniert. Wir unterhalten uns eine knappe Viertelstunde (gesittet, wie ich anmerken möchte), nehmen uns gegenseitig ernst und erklären unsere Standpunkte. Ich bin erstaunt, wie klärend das Gespräch tatsächlich ist. Das neue Teammitglied kann mir erklären, woher das Verhalten kommt und wie sich die Art entwickelt hat. Ich verstehe die Hintergründe, kann mich nun besser in die Person hineinversetzen und bin stolz auf unseren Erfolg.
"Wie zwei Erwachsene" haben wir das gelöst. Wir schliessen mit Abmachungen zum weiteren Umgang miteinander. Das neue Teammitglied möchte, dass ich unsympathisches Verhalten weiterhin direkt anspreche – das darf auch mal etwas ruppig und vor dem Team sein. Ich wünsche mir, dass die Person mich darauf hinweist, wenn ich ihr keinen Respekt zolle. Denn ich kann mich nicht daran stören, dass sie sich in meinen Augen daneben und respektlos äussert oder verhält und gleichzeitig selber respektlos die Augen verdrehen und Böses denken.
Zwei gemeinsame Schichten später kann ich schreiben, dass wir jetzt problemlos zusammenarbeiten können und sich mein Gefühl um 120° gedreht hat. Ich bin fasziniert und überrascht, wie viel ein zielgerichtetes Gespräch im richtigen Moment bewirken kann, wenn beide Parteien offen dafür sind. Für diese Offenheit bewundere ich unser neues Teammitglied und finde, es gebührt ihm mein Respekt.
Herzlich,
ani.actress
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