Feierabend

Hallo Sonnenschein

Kann eine Schauspielerin einen gemütlichen Filmabend noch geniessen oder erinnert sie das einfach nur an die Arbeit? Tatsächlich ist das unterschiedlich. (Wie immer berichte ich hier nur von mir aus und verspreche nicht, dass das meinen Kollegen oder Kolleginnen auch so geht.) Natürlich spielt mein Arbeitstag eine Rolle bei der Auswahl des Feierabendprogramms. Habe ich tagsüber viel Büroarbeit erledigt, Texte einstudiert oder Theaterproben gehabt, entspanne ich abends gerne mit einem Film. An Drehtagen habe ich weniger das Bedürfnis nach Bewegtbildern am Abend.

Zudem kann ich Filme aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Suche ich für privates Vergnügen nach einer leicht verdaulichen Komödie, kann ich nachher nicht beurteilen, ob Melissa McCarthy eine gute Schauspielerin ist (ist sie). Betreibe ich hingegen Recherche – ich will beispielsweise sehen, ob mir die Arbeit eines bestimmten Regisseurs gefällt, schaue Material von Kollegen, die ich persönlich kenne, möchte von guten Schauspielern lernen oder suche nach Inspiration für eine bestimmte Rolle –, achte ich auf ganz andere Details. In diesem Fall kann ich den Film dann aber nicht wirklich geniessen und werde auch emotional nicht so sehr in die Story reingezogen. Je nachdem, wie ich an einen Film rangehe, fühle ich also mit den Darstellern mit oder bewundere sie für ihre grossartige Kunst.

So oder so muss ich aber vorher entscheiden, wie ich einen Film schauen möchte. Werde ich später nach meiner Meinung zu gewissen Schauspielern in bestimmten Szenen gefragt, habe den Film aber lediglich zum privaten Vergnügen geschaut, muss ich ihn vor einer Antwort nochmals sehen.

Einzige Ausnahme: Der Film gefällt mir nicht. Es kommt vor, dass ich im Kino sitze und der Film mich einfach nicht anspricht. Dann schaltet sich sofort die linke Hirnhälfte ein und ich versuche zu eruieren, warum mir der Film nicht gefällt. Liegt es nur am Inhalt? An den Schauspielern? Hätte die Machart besser sein können? Oh nein, warum geht er nicht besser auf sie ein? Sie dreht doch ganz klar ihre Schultern weg! Aha, Anschlussfehler, die Handtasche war eben noch in der Armbeuge und ist jetzt wieder über der Schulter. Hm... warum wurde hier wohl dieser Take gewählt? Am Schauspieler liegt es bestimmt nicht, der hatte ganz sicher bessere Versionen. Vielleicht wegen des Timings? Oder kann er es doch nicht besser?

Solche Gedanken sind Fluch und Segen zugleich. Einerseits wird mir deshalb praktisch nie langweilig, ich halte die Zeit im Kino gut durch und auch wenn der Film noch so schlecht ist, habe ich am Ende etwas gelernt. Andererseits schaue ich meistens nicht alleine... Ja, da besteht dann ein gewisses Mitteilungsbedürfnis. Das geht sogar so weit, dass ich dir einen in deinen Augen guten Film vermiesen kann, wenn er mir persönlich nicht gefällt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Belle meint: "Seit du Schauspielerin bist, schaue ich Filme ganz anders." Sorry *entschuldigendes Lächeln*!

Fazit: Ja, ich kann einen Filmeabend geniessen, wenn gute Filme gezeigt werden (oder ich zu müde bin, um etwas genauer wahrzunehmen). Ich muss mich allerdings bewusst dafür entscheiden.

Wie ist das in anderen Berufen? Ich weiss, dass Ärzte in ihrer Freizeit keine Diagnosen stellen möchten. Lehrer hingegen sind auch privat sehr hilfsbereit. Wie hören wohl Musiker Musik? Was denkt ein Busfahrer, wenn er gefahren wird? Oder ein Förster beim Spazieren im Wald? Und wie lange sucht ein Architekt nach einer neuen Wohnung?

Herzlich,

ani.actress