Hallo Sonnenschein
Bevor ich mich bald voller Tatendrang in neue Aufgaben stürze, möchte ich die Learnings – wie sie in Neudeutsch so schön heissen – der letzten Monate zusammenfassen. Ich war an weniger Projekten beteiligt, als ich gehofft hätte, und wenn ich ehrlich bin, weiss ich nicht, ob das wirklich (ausschliesslich) an der Pandemie liegt. Umso mehr war ich gefordert, habe neue Wege beschritten, Ungewohntes ausprobiert und vor allem versucht, Kontakte zu knüpfen, und einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Zum Administrativen: Wenn du gerade nicht die Chance hast, auf der Bühne oder vor der Kamera zu arbeiten, arbeite vor dem Computer. Recherche ist hier ein zentraler Punkt. Kenne das Business, die wichtigsten Namen und Abläufe und bilde dich weiter. So schlägst du später auch wieder die Brücke zum Kreativen.
Die Beleuchtung ist beispielsweise zentraler als man meinen könnte. Ich durfte kürzlich an einer Weiterbildung zu diesem Thema teilnehmen und muss sagen, allein das Licht liess den Beleuchter unglaublich freundlich und gleichzeitig seriös aussehen. Während wir Teilnehmenden eher dunklen Silhouetten glichen, das Chaos der Zimmer sich im Hintergrund abzeichnete, wirkte er professionell, bevor er überhaupt erst angefangen hatte zu sprechen. Die Weiterbildung dauerte 2.5h, war umfassend und superspannend. Der Profi erklärte, wie sich welche Lichtverhältnisse ausgleichen lassen, Licht im Film Spannung erzeugen oder Skepsis hervorrufen kann. Als hilfreichen Tipp für E-Castings oder andere Selbstaufnahmen nehme ich die Theorie der einfachen 3-Punkt-Beleuchtung (Hauptlicht, Aufhellung, Backlight) mit.
Zum Kreativen: Für viele Künstler ist das Kreative der eigentliche Spassfaktor der Arbeit. Je länger wir das nicht ausleben, weil wir beispielsweise den ganzen Tag mit Administrativem beschäftigt sind, desto eher sinkt die Motivation, neue Projekte anzugehen. Hier schliesst sich dann der Teufelskreis. Denn ohne eine grundlegende Zufriedenheit und mitreissende Motivation landen wir bei (E-)Castings keine Rolle und dürfen wieder nicht spielen. Deshalb: Spielfreude nicht verlieren! Spiele Charaktere aus deinen Lieblingsfilmen/Serien nach, verändere bereits gespielte Figuren leicht, übe Gänge und Stimmen, aber nimm dir in jedem Fall genügend Zeit in deinem Tag, um dein eigentliches Handwerk auszuüben.
Zum Sozialen: Ja, Kontakte knüpfen ist unglaublich wichtig. Mindestens genauso wichtig ist es aber auch, dass du dich nicht verunsichern lässt. Ganz besonders von Kollegen, die du gerade erst kennenlernst. Austausch ist wertvoll, aber tendenziell spricht niemand über Durststrecken. Für meine Ohren klang es anfangs immer so, als ob ich die Einzige bin, die nicht jeden dritten Tag eine Anfrage hat. Auf der anderen Seite gab es jetzt auch bei mir Monate, in denen die Situation endlos schien, und Wochen, in denen ich gleich zwei E-Castings für grosse Kunden aufnehmen durfte. Diese zwei E-Castings und drei weitere interessante Absagen oder Ausschreibungen füllen dann ein ganzes Gespräch. Dabei habe ich in dem Jahr, in welchem ich den Gesprächspartner nicht gesehen habe, im Grunde "nichts" gemacht...
Wie überall gilt auch in unserem Beruf: Je besser die Werbung, desto erfolgreicher das Produkt, also in diesem Falle du. Ich habe gute Erfahrungen mit dem Verteilen von Visitenkarten gemacht. Dabei darfst du ruhig auf sympathische Art aufdringlich sein: "Brauchst du zufällig gerade eine Schauspielerin? Ich würde gerne ein wenig Werbung für mich machen und habe meine Karte dabei." Einmal wurde mir tatsächlich geantwortet: "Ja, jetzt, wo du was sagst, ich habe da ein kleines Projekt in Österreich, da ist mir die Schauspielerin abgesprungen. Wärst du mobil und verfügbar?" Einen ganzen Drehtag hatten wir zusammengearbeitet und erst auf meine Frage hin, fiel der Kollegin ein, dass sie ja tatsächlich eine Schauspielerin sucht. Leider wurde daraus letztendlich nichts, aber ich war erstaunt, wie positiv die Reaktionen auf meine etwas plumpen Versuche, im Gedächtnis zu bleiben, waren.
Zu den Quellen: Ein Kollege aus der Schauspielschule (er war ein Jahrgang unter mir) fragte mich kürzlich, ob ich erprobte Vorgehensweisen für den Einstieg in den Berufsalltag hätte. (Er fragte noch viele andere Dinge und wollte meine "Expertenmeinung" zu dieser Ansicht und jenem Artikel, den er gelesen hatte, hören.) Ich lächelte und verneinte. Nach wie vor habe ich absolut keine Ahnung, sondern gebe mir einfach nur grösste Mühe und teile meine Erfahrungen. Lieber Kollege, das ist alles an Tipps und Tricks, was ich bisher habe.
Zum Abschluss: Dranbleiben lohnt sich immer. Behalte deine Leidenschaft bei, brenne weiter für den Beruf und sei ganz sicher, dass der Weg – dein Weg – stimmt. Ob er jetzt gerade aufs Ziel zugeht oder nicht, ob du (wie ich jetzt) eine Pause einlegst, oder vielleicht für immer abbiegst, solange du einen Fuss stets bewusst vor den anderen setzt, bist du richtig.
Herzlich,
ani.actress
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