Hallo Sonnenschein
Manchmal möchtest du einfach nur entspannen, die Seele baumeln lassen und Alltagsstress und Sorgen hinter dir lassen. Das gelingt dir auch ganz gut, bis ein einziger Kommentar dafür sorgt, dass alles verpufft. Kennst du das?
Mir geht es bei Massagen so. Die Therapeuten, die ich hin und wieder zwecks Wellness an meinen Rücken lasse, sind einfach zu erfahren, zu ausgebildet. Ich komme mit dem einzigen Ziel, mich zu entspannen und sie enden mit "Sie sollten mehr Eier essen", "Sie trinken viel zu wenig, das merkt Ihr Körper" oder letztes Jahr im Österreichurlaub: "Sie haben eine starke Skoliose, das würde ich an Ihrer Stelle unbedingt abklären lassen!"
Zum Glück habe ich gelernt, mich mehr auf mich und mein Inneres zu konzentrieren, sodass mich solche Sätze nicht mehr komplett aus der gerade erreichten Entspannung reissen. Trotzdem habe ich die Bemerkung nicht vergessen. Der Masseur stammte aus Rumänien und war dort als Physiotherapeut tätig gewesen. Er meinte, bei der Verkrümmung, die mein Rücken aufweist, würde ich in seinem Heimatland ein Korsett tragen. Ich werde sicher ab 35 Schmerzen haben.
Nun gut. Mein Zustand schien ihn mehr zu beschäftigen als mich, aber als es meine Finanzen diesen Frühling, also ein Jahr später, zuliessen, kontaktierte ich meinen Hausarzt.
Ich blickte in ein doch sehr überraschtes Gesicht, als der Doktor feststellte, dass ich keine Schmerzen habe und trotzdem in seiner Praxis aufschlage. Vorbeugendes Handeln scheint in der Allgemeinmedizin noch nicht wirklich etabliert. Ein Röntgenbild wurde verordnet, die Resultate sollten eine Woche später besprochen werden.
Aus einer Woche wurden vier Monate und als ich die Praxis erneut kontaktierte, nahm sich der neue Kollege (es scheint zur Tradition zu werden, dass ich jede Fachperson nur einmal zu Gesicht bekomme, bevor das Team erneuert wird) belustigt der Sache an. Wir telefonierten und ich fragte, wie ich eine bleibende Schmerzfreiheit trotz deformierter Wirbelsäule sicherstellen kann.
Der Arzt war überfragt. Er faselte von Osteopathen und Operationen, sprach von Entwicklung und kam letztlich zum Schluss, dass er nicht wisse, was bei akuter Beschwerdefreiheit zu tun sei. Eventuell könnte eine Physiotherapie den Umgang mit der Skoliose positiv beeinflussen. Könnte? Sieht er eine Notwendigkeit? Mehr als ein Drucksen kriegte ich nicht aus ihm heraus.
Also einigten wir uns auf eine Verordnung zur einmaligen Physiotherapie und schon eine Woche später blicke ich erneut in ein konsterniertes Gesicht: "Wie, Sie haben gar keine Schmerzen? Aber wieso sind Sie hier?" Meine Rede... Ein wenig bedaure ich, die Nummer des Österreichmasseurs nicht zu haben. "Das ist ja mega cool! Wenn bloss alle so umsichtig wären und früher kommen würden." Oder auch nicht.
Ich glaube, meine Physiotherapeutin sieht mich als Experiment. Immer wieder erwähnt sie, wie spannend sie das alles findet, und erzählt kurz vor der Verlängerung meiner Verordnung für eine zweite Therapie, dass sie noch so viele Ideen hat, was sie mit mir anschauen und machen könnte. Gleichzeitig gibt sie auch immer wieder zu, dass sie nicht weiss, was wir in der nächsten Stunde machen ("Es ist halt schwer, wenn du gar keine Beschwerden hast - da merkst du dann im Alltag auch nicht viel..." Bingo!).
Sie macht ihre Sache gut. Meistens verstehe ich, was sie sagt, bin überrascht von den Zusammenhängen, die sie mir aufzeigen kann und geniesse das Aufdehnen meiner engen Stellen. Zum Aufwärmen darf ich ein Gerät mit instabiler Trainingsunterlage einer mit Sicherheit geschützten Marke nutzen (wie ich schnell feststelle, wäre dabei eine fachkundige Betreuung essentiell, denn wenn ich als einfache Pilatestrainerin im grossen Wandspiegel schon sehen kann, dass ich gewisse Muskelgruppen unerwünscht anspanne, der Winkel in der Hüfte nicht stimmt oder ich merke, wie meine Schulter die Arbeit der Bauchmuskeln übernimmt und dadurch falsche Stabilität vorgetäuscht wird, gehe ich davon aus, dass hier stark in Fehlbelastung, -stellung oder ungesunde Bewegungsabläufe hineintrainiert werden kann).
Meine Physiotherapeutin ist beeindruckt, dass ich Atemräume spüren kann, bringt mir meine eigene Anatomie näher und gibt mir eine Übung für zuhause mit. Und noch eine. Und noch eine, noch eine und noch eine. Für eine gewissenhafte Ausführung der Hausaufgaben benötige ich bald mehr als eine halbe Stunde am Tag. Einige Übungen soll ich "vor dem Training" wiederholen. Freut mich ja, dass ich aussehe wie eine Sportskanone, aber Zeit und Energie sind rare Güter. Nach einer Stunde interessanter Bewegung wird in den allerseltensten Fällen noch eine Lektion Pilates angehängt. Schliesslich arbeite ich, geh mit Pferd und Hund spazieren und eine zusätzliche Stunde im Tag wurde mir auch nicht geschenkt.
Jedenfalls bin ich über die Weihnachtstage gut mit Übungen eingedeckt. Das Augenmerk liegt dabei auf meinem Gang. Es wurde festgestellt, dass ich alles andere als gesunderhaltend gehe. Das tue sowieso fast niemand (wir schauen uns in frühester Kindheit bei den Erwachsenen einen ungesunden Gang ab und imitieren ihn erfolgreich), für den "Umgang mit meiner Skoliose" wäre es aber hilfreich. Lass mich ehrlich sein: Laufenlernen ist anstrengend.
Hat mir Belle auch schon gesagt, als sie damals aus anderen Gründen auf ihre Schritte achten musste. Ich habe gelacht. Nun... ha ha.
Was habe ich also in den letzten zwei Jahren gelernt? Eine dauerhafte Beschwerdefreiheit soll man nicht auf die leichte Schulter nehmen und mit langfristiger Schmerzfreiheit ist nicht zu spassen. Ich habe mich entschieden nicht alles zu glauben. Natürlich werde ich pflichtbewusst Bewegungsabläufe optimieren (Gewohnheiten sind schon oft nervige Begleiter...) und mich mit Beckenschaufelbewegungen fit halten, um Mitte Januar in neuer Frische zur zweiten Runde der Therapie anzutreten (vielleicht widmen wir uns nach der Perfektionierung des neuen Ganges dem Stehen oder Sitzen?).
Ich werde mich aber auch den Weihnachtskeksen hingeben, Zeit mit meiner Familie verbringen, auf dem Sofa liegen, optimal in mein bisher bestes Jahr starten (mein Jahr wird mit einem (im wahrsten Sinne) wunderbaren Programm starten, aber dazu in einem weiteren Blogeintrag mehr) und mich selbst nicht allzu ernst nehmen. Ich danke dem Österreichmasseur für seine (notwendige?) Umsichtigkeit, meinem Körper, der mich beschwingt und in Leichtigkeit durchs Leben führt, meinem Rücken für seine verdrehte Aufrichtigkeit, meinen Muskeln für die schmerzabhaltende Stabilität und meinem Gemüt für die stets positive Energie.
Dir, liebe Leser*in, danke ich für deine Treue und wünsche von Herzen frohe Weihnachten, eine erholsame und beschwerdefreie Zeit zwischen den Jahren und einen Raketenstart ins 2025!
Herzlich,
atalanta.pferd
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