Hallo Sonnenschein
Die letzten Tage waren ein wenig stressig. Morgen fahre ich nämlich ins Lager und vorher soll natürlich alles picobello sein. Die Wäsche gemacht, der Einkaufszettel geschrieben und auch die Menüplanung für die nächsten drei Wochen will ich fertig haben. Kurz: Bevor ich wegfahre, möchte ich so organisiert sein, wie sonst nie im Leben.
Entsprechend froh bin ich, dass nun endlich das Wochenende angebrochen ist. Es steht ein Tagesausflug zur Dampfbahn Furka Bergstrecke an. Um 6.15 Uhr ist Besammlung beim Reisebusbahnhof. Mein Freund und ich sind ein paar Minuten zu früh und haben so genügend Zeit, Belle einen Geburtstagsgruss zu schicken. Das ist zwar nicht ganz so toll wie zusammen feiern, aber immerhin.
Der Car ist noch nicht in Sicht und so beginnen wir noch halb verschlafen rumzublödeln und schmieden fantastische Zukunftspläne. Um 6.10 Uhr werden wir langsam nervös. Um Viertel nach sechs mache ich mir ein wenig Sorgen um die Reiseleitung und das Fahrpersonal. Mein Freund fragt mich, ob ich sicher sei, dass unsere Reise nicht noch abgesagt wurde. Klar bin ich sicher!
Kurz vor halb sieben beschliessen wir, uns bei der Notfallnummer zu melden. Vorher schaue ich zur Sicherheit doch nochmals in die Mailbox. "Annullation und Ersatzdatum für..." lautet die Überschrift der ältesten ungelesenen Mail. Sie stammt vom Mittwoch und bestätigt den Verdacht meines Freundes. Ich überschlage die letzten Tage im Kopf und komme zum Schluss, dass ich tatsächlich ungefähr eine Stunde vor Eingang der Annullation meine private Mailbox das letzte Mal konsultiert hatte. Ganz, ganz toll!
Wir hätten am Freitag also noch länger bei Kollegen bleiben können, hätten heute ausschlafen können, hätten uns einen gemütlichen Tag machen können, hätten uns die ÖV-Fahrt sparen können. Hätte, hätte, Fahrradkette. Stattdessen fahren wir jetzt wieder nach Hause und überlegen, was wir mit dem noch jungen Tag und dem absichtlich leeren Kühlschrank anstellen sollen.
Wir (mein Freund) beschliessen an unserem Vorhaben "Tagesausflug" festzuhalten und lassen uns online inspirieren. Mein Freund wollte schon immer mal auf den Monte Generoso... schaffen wir das zeitlich? Müsste hinhauen. Aber wenn schon, denn schon. Wir kaufen eine Tageskarte der 1. Klasse und nehmen den nächsten Bus. Als wir nach dem Umsteigen im Zug nach Lugano sitzen, ist unsere (meine) Laune bereits wieder erheblich besser und wir lachen über mein Missgeschick.
Wie viel wir noch zu lachen haben werden, ahnt zu diesem Zeitpunkt noch keiner von uns. Kurz vor Brunnen bleibt der Zug nämlich kurz stehen und die Weiterfahrt verzögert sich aufgrund einer technischen Störung. Bald fahren wir weiter, bleiben am Bahnhof Brunnen allerdings wieder länger stehen. Der Zug kann nicht weiterfahren, es wird nach einer Lösung gesucht. Eine Durchsage des Zugbegleiters lässt die Passagiere belustigt zurück: "Wir fahren jetzt nach Schwyz zurück, dort kommt ein Ersatzzug. Bitte bleiben Sie sitzen, erst aussteigen, wenn ich es sage. Ich hoffe, wir kommen doch noch in den sonnigen Süden, hä."*
Natürlich wiederholt er die Information in französischer und sehr verbesserungswürdiger englischer Sprache. Mein Freund und ich freuen uns über den unberechenbaren Tag und kriegen uns vor Lachen kaum mehr ein. In Schwyz müssen wir über 15 Minuten warten. Der Zugbegleiter kommentiert erneut: "Entschuldigen Sie, wir haben keine Lösung, wir müssen warten." Während er eilig die erste Klasse durchquert, fügt er erklärend hinzu: "Bern hat noch nichts gesagt. Wir brauchen eine Lösung für 900 Leute, die anderen Züge sind auch voll..."
Interessiert beobachtet mein Freund die Arbeiter des Lösch- und Rettungszuges, welcher vermutlich wegen uns zwei Gleise weiter steht. Andere Reisende beginnen nervös auf ihren Smartphones zu tippen oder nehmen wichtige Anrufe entgegen. Zwei überzeugen den Zugbegleiter, ihnen die Tür zu öffnen und steigen selbständig in S-Bahnen um. Ich geniesse die bequeme Polsterung in der ersten Klasse. "Geschätzte Fahrgäste, wir haben eine Lösung. Wir machen ein Manöver. Wir nehmen den Zug auseinander und hängen den vorderen Teil hinten an", ertönt da die Durchsage. Mein Freund und ich sind begeistert.
Der Zugbegleiter wohl weniger... Auf dem Weg ans andere Ende des Zuges hören wir ihn raunen: "Ist schon eine gute Idee, aber weisst du, Zeit läuft!" Damit sollte er Recht behalten. Nach einem erfolgreichen Manöver (wir sind erst rückwärtsgefahren und konnten dann zuschauen, wie unser eigener Zug an uns vorbeifuhr) kommen wir mit zwei Stunden Verspätung am Zielort an. Auf dem Monte Generoso schnappen wir uns kurz vor 14 Uhr die letzten Reste des warmen Buffets und den obligatorischen Generoso-Cake.
Anschliessend spazieren wir auf den Gipfel, zurück zur Mittelstation und von dort geht es mit der Bahn wieder zurück. Der Tag wird trotz sehr langer Zugfahrt schön und wir fallen abends müde und glücklich ins Bett. Wie viel Spass es doch machen kann, wenn einfach nichts nach Plan läuft...
Übrigens ein super Tipp, falls du dir eine Fahrt in der ersten Klasse gönnen möchtest: Wähle den Zug mit der grossen Verspätung, so wird dir ein Teil des Ticketpreises zurückerstattet. Im Endeffekt haben wir für die 1. Klasse weniger bezahlt, als wir für ein reguläres 2. Klasse-Ticket hätten bezahlen müssen und konnten den Sitzplatz auch noch länger nutzen als geplant.
Herzlich,
ani.actress
*Alle Durchsagen/Aussagen des Zugbegleiters sind anhand meiner Notizen sinngemäss wiedergegeben.
Kommentare