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True Crime

True Crime

 

True Crime oder wie ich an einem Tag gleich zweimal keine grosse Hilfe war

 

Hallo Sonnenschein

 

Folgende Situation: Der Araber und ich sind unterwegs. Wir spazieren gemütlich durch unseren Stammwald und geniessen die frische Abendluft. Mitten im Wald kommt uns ein Polizeiwagen entgegen. Selbstverständlich weichen wir schnell aus und stellen uns kurz neben den Weg, damit die Gesetzeshüter passieren können. Die Polizei kann sich schon alles erlauben, denke ich nach einer Weile bei mir. Fahren die mitten im Wald über einen Wanderweg. Zugegeben, sie fahren kaum schneller als Schritttempo, trotzdem, wenn ein Bürger das tun würde, wäre er den Führerschein vermutlich los. Wohin sie wohl fahren? Ich rufe in meinem Kopf eine Karte des Waldes auf und wundere mich. Welches Ziel könnte man über diesen Weg schneller erreichen? Das ist doch überhaupt keine Abkürzung...

 

Kurz darauf treffen wir auf einen grünen Geländewagen von Waldarbeitern. Auch sie kreuzen uns und der Fahrer macht ein total verbissenes Gesicht – was ist nur los heute? Wir biegen nach rechts ab und werden von einem Velopolizisten überholt. Sonnenschein, ich bin ehrlich, bis zu diesem Tag wusste ich nicht, dass es in unserem Kanton Polizisten gibt, die ihren Dienst auf dem Fahrrad verrichten. Das ist ja total cool! Aber sicher auch etwas mühselig, voll ausgerüstet mit Schlagstock, Funk und allem drum und dran in die Pedalen zu treten. Vor uns fährt nun ein weisser PW auf dem parallel verlaufenden Weg. Der Polizist sieht ihn auch, reagiert aber nicht wirklich. Ich schaue dem Auto aus Neugier noch ein wenig nach – Polizei in zivil oder Verkehrssünder? Wen suchen die wohl? Kann es sein, dass es hier im Wald gerade gefährlich ist oder noch wird? Soll ich Belle anrufen und ihr live von meinem True-Crime-Erlebnis berichten? Das wäre durchaus ein unterhaltsamer Nachmittag für uns beide.

 

Als Nächstes treffe ich auf den Täter. Er steht im Gebüsch neben dem Waldweg und telefoniert. Ich hatte ihn schon kurz vor der ersten Begegnung mit der Polizei, also dem Polizeiwagen, gesehen und er kam mir da schon auffällig vor. Warum, kann ich gar nicht so genau sagen, und wieso ich ihn bis jetzt wieder komplett vergessen habe, auch nicht. Jedenfalls ist er auffällig geblieben und ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass er gesucht wird. Ich tue, was jede gute Sicherheitsangestellte tun würde, und nehme ein Signalement auf. Ich bin gut (Kleidung, Grösse, Statur, Haut- und Haarfarbe sind schnell gemerkt), aber nicht gut genug (spezielle Merkmale oder genauere Gesichtszüge kann ich nicht erkennen, da er blöderweise bemerkt, dass ich ihn beobachte). Immerhin so gut, dass ich sofort wieder ins Schauspiel wechsle und die unschuldige, unauffällige Reitbegeisterte mime. Es funktioniert. Er flüchtet nicht, sondern bewegt sich lediglich langsam in eine gut erkennbare Richtung.

 

Ich halte bewusst mein Tempo und merke mir den Namen des Waldweges. Kurz überlege ich, die 117 zu wählen, aber dann schaltet sich mein Verstand etwas zu laut ein: Auf welcher Basis rufst du die Polizei? Ein junger Mann ist auffällig, weil er eine Kapuze trägt, telefoniert und zwei Meter neben dem Weg steht? Das würde er beim Pinkeln auch tun. Das ist ja kein Verbrechen! Oder noch besser: Hören Sie, meine Intuition sagt mir, dass ihr den sucht, er ist hier? Das geht doch nicht. Ich sehe mich um, schaue den Weg nach links hoch und biege schliesslich nach rechts unten ab. Weit und breit kein Polizist. Super. Wo ist die Polizei, wenn man sie mal braucht? Erst drängt ihr euch über den ganzen Spaziergang auf und dann seid ihr nirgends mehr? Naja, es hilft nichts. Eine "Beschattung" eines nach wie vor möglicherweise unbescholtenen Bürgers gestaltet sich mit Pferd ein wenig schwierig und ist wohl auch nicht meine Aufgabe. Also gehe ich weiter.

 

Es dauert ganze fünf Minuten, bis mir ein zweiter Velopolizist begegnet. Er fällt fast vom Fahrrad, als ich ihn anspreche, so stark bremst er. "Suchen Sie jemanden?" ("Eine dümmere Frage als Gesprächsbeginn ist mir scheinbar nicht eingefallen!", schelte ich mich gleich selbst. Halb so wild, der Uniformierte antwortet mit einer noch blöderen Frage:) "Ja, haben Sie jemanden gesehen?" Natürlich habe ich jemanden gesehen, ich sehe immer ganz viele Personen, wenn ich spazieren gehe. Ich gebe ihm meine Personenbeschreibung und den Aufenthaltsort bzw. die Bewegungsrichtung an. Pflichtbewusst erwähne ich auch, was ich vom Telefonat mitgehört habe und bestätige, dass der Täter allein war. Der Polizist erklärt, gesucht seien zwei Personen und meine Beschreibung passt perfekt auf einen der beiden. Natürlich passt die, willst du mich in meiner Berufsehre kränken?

 

Der Polizist radelt zügig davon und ich gehe weiter. Nächstes Mal rufe ich definitiv an. Hoffentlich treffe ich den Gesuchten nochmals. Am Waldrand sehe ich erneut einen Polizeiwagen. Er fährt in die entgegengesetzte Richtung, also haben sie die Täter wohl noch nicht. Klar, einer hatte ja auch viel Zeit, bis ich ihn verriet. Ich lasse den Araber grasen und überlege mir, was die Täter wohl angestellt haben könnten. Kurz darauf wird klar, dass ich nicht wie angenommen beim nächsten Mal anrufen würde. Ich sehe nämlich Täter Nr. 2. Erneut weiss ich sofort, dass es sich um den Gesuchten handelt und wieder rede ich mir ein, dass ich absolut gar nichts gegen den Burschen in der Hand habe. Er kommt joggend aus dem Wald, hat ein sehr ungesundes Gangbild, rennt zu einer freien Bank und ruht sich aus. Ich schaue ihm über circa 150 Meter hinweg offen ins Gesicht. Er schaut zurück. Er weiss, dass ich weiss, und ich weiss, dass er weiss. Nach einer Ewigkeit (sicher 10 Minuten), joggt er den gleichen Weg zurück, hält beim Brunnen und trinkt (welcher Jogger ist in ungeeigneter Kleidung und ohne Wasser unterwegs? Er ist definitiv der zweite Täter). Langsam geht er an mir vorbei und grüsst dabei freundlich. Ich grüsse zurück und wir wechseln einen letzten Blick, bevor er wieder im Wald verschwindet. Nerven hat der Kerl! Und richtig eingeschätzt hat er mich auch. Ich wurde ihm nicht gefährlich.

 

Wir gehen langsam zurück Richtung Stall als plötzlich Rehe aus dem Wald auf die Wiese springen. Oh, wie schön! Aber warte, sie sind viel zu früh, normalerweise sehe ich die wilden Tiere erst in den späteren Abendstunden, so gegen 18/19 Uhr... Ist euch zu viel los im Wald? War es der Polizeiwagen, der euch auf die offene Wiese getrieben hat? Es ist nicht gut, wenn Rehe sich so aufregen, das braucht viel Energie – sehr anschaulich wurde das auf einer Tafel erklärt, die ich mal in den Ferien im Kanton Graubünden gelesen habe. Was ist da oben am Hügel bloss los?

 

Jetzt sehe ich es. Direkt am Waldrand steht ein Hund. Er sieht die Tiere nicht. Dann sieht er sie doch und rennt los, so schnell er kann – die Schleppleine wehend hinter sich herziehend. Rasend schnell arbeitet er sich über die Wege statt direkt über die Wiese (Interessant, an welchen Teil seiner Erziehung er sich in diesem Moment erinnert… Es scheint nicht der intelligenteste Vierbeiner zu sein). Die Rehe nutzen den Vorsprung und sind in Sekundenschnelle auf der anderen Seite der Wiese wieder im Wald. Doch leider hat der Hund mehr Ausdauer und ist bald ebenso weit. Ich vermute, das wird nicht gut enden. Mist, hätte ich weniger fasziniert den Rehen hinterhergesehen und schneller geschaltet, hätte ich evtl. auf die Schleppleine stehen können, bevor es zu spät war. Heute bin ich echt keine grosse Hilfe...

 

Der Hundehalter taucht übrigens in den folgenden fünfzehn Minuten nicht am Waldrand auf. Dieser Hund ist wohl weg. Ich bringe den Araber in den Stall zurück und begebe mich auf den Nachhauseweg.

 

Ach, es war ein packender Nachmittag. Ich bin so verliebt ins Leben!

 

Herzlich,

ani.actress

 

PS. Zu Hause schenkt mir mein Freund noch einen kleinen Liebesbeweis: Ich gebe ihm die Kurzfassung und erzähle, dass ich Polizei, wieder Polizei, dann Täter gesehen habe und er fragt nicht etwa, woher ich wusste, dass es sich um den Täter handelte, wie er aussah oder was er getan hatte sondern: "Hast du die Polizei gerufen?" Und als ich verneine: "Warum nicht?" Für ihn war glasklar, dass ich recht habe. Er vertraut mir und meinen Instinkten fast mehr als ich selbst.

 

PPS. Aus erzähltechnischen Gründen nenne ich die zwei jungen Männer hier Täter. Ich möchte aber betonen, dass ich nicht weiss, was sie getan haben bzw. ob sie eine Tat begangen haben oder weshalb sie gesucht wurden. In dubio pro reo!

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