Ein Regenbogen sein

Hallo Sonnenschein

Die folgende Begebenheit ereignet sich just an dem Tag, an dem ich einem Zitat von Maya Angelou begegne. Sie sagte einst: "Versuche, ein Regenbogen in den Wolken eines anderen zu sein."

Eine kurze Busfahrt am frühen Nachmittag. Es sind nicht viele Leute unterwegs, der Mindestabstand kann gut eingehalten werden und alle tragen Masken. Eine Dame fällt auf. Denn sie hustet in einem fort.

Die Dynamik im Bus ändert sich sofort. Einige Fahrgäste ziehen sich weiter in ihren Sitz zurück, verstecken sich hinter dem Handy und schütteln verärgert den Kopf. Andere verbünden sich gegen die Dame, tauschen empörte Blicke aus und versuchen sie mit funkelnden Augen zum Aussteigen zu bewegen.

Ich betrachte die Dame etwas genauer. Immer wieder wird sie von neuen Hustenanfällen gepackt. Es ist ein lautes, leicht rasselndes, in meinen Ohren schleimig klingendes Husten. Sobald jemand zusteigt, zieht sie auch dessen Aufmerksamkeit direkt auf sich – und wird erneut merklich verurteilt. Die Dame sieht gequält aus.

Da kramt eine junge Frau in ihrer unübersichtlich wirkenden Handtasche, steht auf, geht zu der Dame hin und bietet ihr ein Hustenbonbon an. Der ganze Bus scheint die Luft anzuhalten. Die Miene der Dame erhellt sich und sie greift dankbar zu. Die beiden Frauen strahlen sich an. Dann ist der Moment vorbei.

Ich muss wieder an Maya Angelou denken. Sei ein Regenbogen... Ich muss die Geschichte meiner Mitmenschen nicht kennen, ich muss nicht wissen, was die Dame dazu bewegte, aus dem Bett zu steigen und ich muss ihre Entscheidung auch nicht gutheissen, denn auch ohne all das kann ich Einfluss nehmen auf mein eigenes Handeln.

Ich kann entscheiden, ob ich in einer Welt leben möchte, in der wir uns gegenseitig verurteilen, oder ob ich in einer Welt leben möchte, in der wir uns gegenseitig ein Hustenbonbon anbieten.

Herzlich,

ani.actress