Hallo Sonnenschein
Du kennst das bestimmt: Ein Gespräch verläuft richtig rund, du scheinst mit deinem Gegenüber auf einer Wellenlänge zu sein und mit einem einzigen Satz dreht sich dieses Gefühl um hundertachtzig Grad. Die Konstruktivität des Austausches ist dahin. So erging es mir neulich im Geschäft.
Wir sprachen über Prozesse und kommende Neuerungen und bewegten uns gegen Ende des Gesprächs vom geschäftlichen Teil weg. Stattdessen wurden wir grösser, diskutierten, wie die Welt verbessert werden könnte. Mein Gegenüber meinte, es liesse sich mit so wenig Anpassung jedes Einzelnen so viel bewirken. Ich stimmte zu und ergänzte, dass eine Voraussetzung dafür Zufriedenheit sei, die zu Kapazitäten und Bereitschaft zu einer Veränderung führt. Die Antwort kam sofort und stoppte meine Gedankengänge abrupt. Hier nahm das Gespräch eine für mich unerwartete Wendung.
Denn diese Bedingung schien meinem Gesprächspartner unerfüllbar und er begründete: "Ich kenne keine Frau, die zufrieden mit ihrer Figur ist."
Der Tonfall tat mich als Träumerin ab, die Aussage selbst ist sexistisch und auf so vielen Ebenen falsch. Mein Körper reagierte heftig und ich dachte noch Stunden über den Satz nach. Hier einige meiner Überlegungen dazu:
– Wieso spielt das biologische Geschlecht hier eine Rolle? Wozu braucht es in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung, ein in den Augen meines Gesprächspartners spezifisch weibliches Beispiel? In Bezug auf Zufriedenheit? Ich habe nicht recherchiert, ob es Daten gibt, die Belegen, dass Frauen generell unzufriedener sind als Männer (und ich bezweifle, dass mein Gegenüber dies getan hat), aber selbst wenn dem so wäre, ist es nicht viel spannender, nach den Gründen zu fragen? Fördert unsere Gesellschaft eine Unzufriedenheit? Wie können wir das für alle ändern?
– Wer gab den Frauen, die er kennt, einen Grund, unzufrieden mit ihrer Figur zu sein? Wer setzt den Massstab und regt zu Vergleichen an? Was wird womit verglichen?
– Wie steht mein Gegenüber dazu? Gibt es seiner Meinung nach eine Figur, mit der man bzw. Frau nicht zufrieden sein kann? Sein sollte?
– Mit wie vielen Frauen spricht mein Gegenüber über ihren Körper und warum? Mit wie vielen Männern?
– Der Körper einer Person (zum Beispiel des anderen Geschlechts) geht dich nichts an. Eine Aussage darüber ist höchstens dann im Einverständnis angemessen, wenn eine gegenseitige körperliche Anziehung oder ein sehr enges Vertrauensverhältnis besteht – ganz sicher nicht im geschäftlichen Rahmen und erst recht nicht, wenn dadurch kein positives Gefühl hervorgerufen wird oder mindestens werden soll.
– Und zu guter Letzt: Woher will er das wissen? Die Aussage ist schlicht und ergreifend nachweislich falsch. Denn mein Gegenüber kennt mich (eine Frau) und ich habe durchaus einige Themen, die meiner Zufriedenheit hin und wieder Abbruch tun, meine Figur gehört allerdings nicht dazu. Es geht dich zwar nichts an, aber ich liebe alles an meinem Körper und kann mich nicht an einen einzigen gegenteiligen Gedanken erinnern.
Vielleicht habe ich überreagiert (Vorschlag eines weiteren biologischen Mannes, mit dem ich das Erlebnis geteilt habe – bezeichnend?) und sollte den dahingeworfenen Satz nicht als generalisierten Vorwurf an das weibliche Geschlecht auffassen – solange Frauen nicht mit ihrer Figur zufrieden sind, können wir eine Verbesserung sowieso vergessen? Vielleicht sollten wir aber auch achtsamer sein mit unseren Aussagen und dem, was dahintersteht, nämlich unseren Gedanken. Denn sie bestimmen unsere Gefühlslage und nach wie vor glaube ich daran, dass ein zufriedener Mensch bereit ist, seinen Beitrag zu einer friedvollen, geschützten und schützenswerten, gesunden Welt zu leisten.
Herzlich,
ani.actress
PS. Du willst wissen, wie ich in der Situation selbst reagiert habe? In erster Linie perplex. Ich antwortete nur: "Ich war noch nie unzufrieden mit meinem Körper, also kennst du mindestens eine." Dafür kassierte ich einen leicht ungläubigen Blick, was weiter bestätigt, dass hier gerade einiges im Argen ist.
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