Wenn die Sonne untergeht...
- atalanta.pferd
- 30. Jan.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. März
Hallo Sonnenschein
Der Titel dieses Artikels könnte wesentlich düsterer klingen als beabsichtigt. Lass uns stattdessen mit einem wunderschönen, rotgoldenen Sonnenuntergang starten. Mit dieser Vorstellung kommen wir gleich in eine wohlig warme Stimmung. Hat’s funktioniert?
Wenn du meine bisherigen Blogartikel aufmerksam gelesen hast, ist dir vielleicht aufgefallen, dass ich immer wieder auf Themen aus der Kindheit zu sprechen komme. Darauf, was meinen Eltern in punkto Erziehung besonders wichtig war und was mich geprägt hat. Vielleicht macht es sogar den Anschein, dass ich auf vermeintlich negative Erfahrungen eher eingehe.
Heute möchte ich dazu ein Gegengewicht schaffen. Natürlich sind aus Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung, beziehungsweise im Sinne einer Heilung, die belastenden Erinnerungen besonders spannend, doch hinzuschauen, wie sich gewisse Ressourcen, über die man im Erwachsenenalter verfügt, manifestiert haben, kann ebenso interessant sein.
Letzte Woche konnte ich meine Schicht bei der Sicherheitsfirma nicht pünktlich beenden. Ich hatte somit mein Tram verpasst und wartete auf das nächste, während ich mich mit meinen Kollegen unterhielt. Die Zeit flog nur so dahin und bald schon musste ich zur Haltestelle rennen. Ich konnte gerade noch winken, wie man bei uns so schön sagt. Ich sah die nächste Tram also noch losfahren, hatte die aber ebenfalls verpasst.
Ein paar Minuten später kam eine andere Nummer und ich entschied mich, bis zum Bahnhof zu fahren, um dort (Plan B) in den Zug umzusteigen. Es fühlte sich an, als ob wir im Schneckentempo über die Schienen glitten. Hier ist der Bahnhof. Schnell raus und zum richtigen Perron gerannt. Völlig ausser Atem kam ich oben an und hob verschwitzt die Hand, um dem Zug zu winken.
Plan C hiess: Nutze deine Füsse. Es waren ja nur noch circa 40 Gehminuten bis nach Hause. Mittlerweile war es nach 23 Uhr und die kühle Nachtluft tat gut. Der Weg stieg an und unter dem spärlichen Licht der Strassenlaterne musste ich lächeln. Früher ängstigte mich die Dunkelheit. Bei Nacht allein draussen unterwegs zu sein – das konnte ich mir nie vorstellen.
Ich erinnere mich an eine bestimmte Situation in meiner Kindheit. Wir waren spätabends auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause. Am Bahnhof selbst lungerten einige grosse Jungs herum, tranken und pöbelten. Wir überquerten einen Bach und gingen den beleuchteten Gehweg entlang. Rechts und links lagen Häuser in vollkommener Dunkelheit. Es musste Herbst gewesen sein... Ich hatte Angst und erklärte meiner Mutter, dass ich bei Dunkelheit immer daheimbleiben werde. Wenn ich gross bin und Mami mich nicht mehr begleiten kann, werde ich einfach nicht draussen sein, wenn es nicht mehr hell ist. Ich sehe den Grund nicht ein, warum ich mich auf diese Situation einlassen sollte.
Meine Mutter antwortete ungefähr: "Mal schauen, wie du das in ein paar Jahren sehen wirst. Das ist dann deine Entscheidung." Was für eine geniale Antwort das doch war. Bis heute kann ich mich daran erinnern, weil es sich so eingebrannt hat. Das kann ich entscheiden. Sie hat mich und meine akuten Bedenken ernst genommen, meine Idee respektiert und mir gleichzeitig die Möglichkeit gegeben, später trotzdem anders zu entscheiden.
Heute denke ich im Dunkeln (mit einem Gefühl der absoluten Sicherheit) daran zurück und vermute, dass diese Situation einen Grundstein für meine Unerschrockenheit bei nächtlichen Aktivitäten gelegt hat. Mami hat mich hier ermächtigt, meine Ressourcen immer wieder neu zu evaluieren und Entscheidungen zu treffen, die sich im Laufe der Zeit verändern dürfen.
Nicht nur macht mir die Dunkelheit heute tatsächlich in den seltensten Fällen etwas aus – meistens empfinde ich sie als beruhigend, höchstens spannend – sondern sie steht auch exemplarisch für die Erlaubnis zur Neubeurteilung einer Situation oder eines Wunsches.
Herzlich,
atalanta.pferd
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