Hallo Sonnenschein
Ohne feste Arbeit hat man plötzlich viel Zeit. Mein Körper hat sich mittlerweile an regelmässigen, gesunden Schlaf gewöhnt und der Stresspegel ist deutlich gesunken. Versteh mich nicht falsch, ich habe meine Arbeit geliebt und bin nach wie vor ein grosser Eustress-Fan, trotzdem ist es auch mal schön, nicht immer auf Zack sein zu müssen. Wie Ferien halt, nur länger.
Spannend finde ich, wie sich auch meine Gedankenwelt verändert. Ich packe die Gedanken nicht einfach schnell, schnell in eine Schublade, sondern lasse sie häufiger auch mal schweifen und denke tatsächlich länger über Dinge nach. Dafür hätte ich mir letztes Jahr definitiv keine Zeit genommen. Was da alles zum Vorschein kommt, finde ich amüsant/schräg/manchmal etwas nervig und unnötig, vor allem aber interessant.
Da wäre zunächst einmal die Vergangenheit. Neben dem Klassiker (unverarbeitete Erlebnisse), tauchen immer wieder Dialoge auf. Offenbar bin ich sehr sprachfixiert. Statt an besonders schöne oder die (weniger zahlreichen) unglücklichen Momente, denke ich an unschön formulierte Sätze meinerseits und an Kommentare, die ich vielleicht besser für mich behalten hätte. Meistens waren die Gespräche selbst so belanglos, dass ich mir ziemlich sicher bin, das Gegenüber erinnert sich nicht mehr daran – so wie ich mich lustigerweise meistens nur noch an meinen Teil der Unterhaltungen erinnern kann.
Kaum bemerke ich diesen Umstand, reicht mein Unterbewusstsein unverzüglich (hauptsächlich positive) Erinnerungen an alles Mögliche nach. Zu den einprägendsten gehören mein erstes bewusstes Lächeln und der Moment, an dem ich zum letzten Mal Neid empfunden habe. Einschneidend war auch das Spielen von Szenen in der Schauspielschule, bei welchen ich ein Gefühl zum allerersten Mal spüren durfte. Dazu kommen natürlich ganz viele glückliche Erlebnisse mit meinen Liebsten.
Und dann sind da die weit weniger persönlichen, viel praktischeren Gedanken. Der Aufzug zum Beispiel. Ist es nicht unglaublich, dass er uns vertikal bewegen kann? Soweit ich weiss, gibt es kein anderes Tier, das sich – aufrecht und ohne Raumgewinn nach vorne – so weit nach oben bewegen kann. (Wobei, Fische können das auch, aber die leben im Wasser, das zählt nicht.) Woher kam wohl die Inspiration? Wie kommt man dazu, etwas zu erfinden, wofür es keine "Vorlage" gibt? Und schon habe ich hundert Ideen, wie das gewesen sein könnte. Keine Angst, ich verschone dich.
Oder ein anderer Gedanke: Wie hat sich wohl eine junge Frau gefühlt, die um 1899 mit ihrem Liebhaber telefonierte? Vielleicht hat sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als ein Telefon, das sie in ihr Zimmer mitnehmen kann, statt unbequem an der Wand zu stehen. Ein Gerät ohne Schnur – unvorstellbar! Aber davon träumen, das geht... Was würde sie zu unseren heutigen Hosentaschentelefonen sagen?
Warum schätzen wir diese Erfindungen nicht mehr? Wieso wird alles zur Selbstverständlichkeit? Und wenn das scheinbar Unmögliche möglich wurde, wieso werde ich auch heute noch oft genug doof angeschaut, wenn ich behaupte, dass XY nicht unmöglich ist, wir nur noch keine Möglichkeit dafür kennen? Mein Plan B, sollte die Schauspielkarriere nicht klappen, ist übrigens ein Philosophiestudium. Macht Sinn, oder?
Als nervtötender, unnötiger Kumpane sei hier der Selbstzweifel erwähnt. Der kommt auch sehr häufig vorbei, wir führen lange Diskussionen, und ich muss sagen, langsam aber sicher entwickelt sich eine innige Freundschaft zwischen uns. Mittlerweile habe ich immer Tee und Kekse im Haus, um auf seinen nächsten Besuch vorbereitet zu sein.
In diesem Sinne: Geniesse die Welt um dich herum, die Welt in deinem Kopf und den Tag in vollen Zügen.
Herzlich,
ani.actress
Schöne Gedanken! Da kam mir grad ein Song in den Sinn, einfach Mr. Pain mit Mr. Self-Doubt ersetzen. Der Refrain beschreibt in etwas deine Begegnung mit dem Selbstzweifel!
https://www.youtube.com/watch?v=JSGeZPm76-E
Ja,das Philosophiestudium macht Sinn! Wann triffst du diese Entscheidung? Ich hoffe, du musst sie gar nie treffen! Viel Erfolg!