Hallo Sonnenschein
Je bewusster ich lebe, desto mehr Muster in meiner Verhaltens- vor allem aber in meiner Denkweise erkenne ich. Einige dieser Muster sind hilfreich, bringen mich quasi im Autopiloten schnell und effizient ins Ziel. Andere hingegen passen nicht mehr zu meinem Lebensstil und erschweren mir Wachstum in gewissen Bereichen. Hier kommt die Frage auf: Warum tue ich Dinge, die ich gar nicht tun will? Warum bin ich so?
Ich glaube, dass ich zu einem grossen Teil selbst entscheiden kann, womit ich mich identifiziere und was ich nicht (mehr) als Teil meiner Persönlichkeit sehen möchte. Ist es nicht so, dass alles, was ich durch prägende Erlebnisse, durch Erziehung, mein Umfeld, Traumata oder Liebe(sentzug) gelernt habe, gut trainierte und weiterentwickelte (Überlebens-)Strategien sind, für die ich mich entschieden habe oder entscheiden musste? Veränderung im Umkehrschluss, ist also in erster Linie eine Entscheidung.
Ich habe diese Muster angenommen oder übernommen, abgeschaut oder durch Versuch und Irrtum als beste Option identifiziert. Doch dabei handelt es sich im weitesten Sinn um eine Momentaufnahme. Der Moment kann zwar Jahre andauern, ist aber nicht zwingendermassen lebenslänglich. Jedes destruktive Muster, das erkannt, ins Bewusstsein geholt und verstanden wurde, kann verändert werden.
In zweiter Linie ist Veränderung dann eine von der Festgefahrenheit der bekannten Muster abhängige Menge an Arbeit. Auch wenn ich diesen zweiten Schritt positiv umformuliere und von Chancen spreche, neue Ergebnisse zu erleben, von gewonnener Freiheit usw. ist und bleibt es (zumindest für mich) (noch) der intensivste und mühsamste Teil. Immer wieder falle ich in alte Muster zurück und brauche so viel Repetition um mein neues Ich zu leben. Repetition langweilt mich, dafür habe ich keine Geduld.
Was mir hingegen Spass macht, ist Hobbypsychologie. Laienhafte Versuche, meine Muster zu analysieren und prägende Situationen durchzuspielen, die immer wieder in meinen Gedanken auftauchen. Wer weiss, vielleicht finde ich irgendwann die Musse, die Situationen gedanklich zu verändern, zu einem anderen Ende zu bringen und mit unaufgelösten Themen zu spielen.
Aber nicht heute. Heute möchte ich einige Beispiele mit dir teilen, von denen ich meine, ein grosses Ganzes ableiten zu können. Kurzum: Hier kommt, woran ich momentan viel denke oder zu knabbern habe. Viel Vergnügen!
Beginnen wir mit leichter Kost: In unserer Familie wurde die Tradition, gemeinsam das Traumschiff zu schauen, hochgehalten. Ich habe gelernt, dass Unterhaltung auch sanft sein kann, dass das Nervensystem nicht immer maximal aktiviert sein muss, schöne Gefühle und Happy Ends (auch für starke Männer) OK sind und man sich gerne mal was Gutes für die Seele gönnen kann. -> Toll, behalte ich gerne bei.
War ich in meiner Kindheit krank bzw. fühlte mich unwohl, durfte ich immer zu Hause bleiben, auch wenn ich nicht benennen konnte, wo das Problem genau liegt. Ich habe gelernt, dass meine Wahrnehmung wahr und echt ist. Meine Intuition wurde gefördert und ich verstand, wie wichtig es ist, dass ich auf mich höre. -> Wunderbare Lektion. Möchte ich gerne weiterhin in alle meine Verhaltensmuster einfliessen lassen. Nutze ich viel beim Treffen von wichtigen Entscheidungen.
Wenn ich etwas nicht wollte, mich aber nicht traute, dies zu sagen, wurde es mir schlichtweg verboten. Ich konnte auf Schutz vertrauen, hatte Hilfe bei der Wahrung meiner (hauptsächlich sozialen) Grenzen, in Momenten, in denen ich noch nicht laut genug für mich selbst einstehen konnte. Ich lernte, dass Schutz eine Selbstverständlichkeit und bedingungslos ist. -> Heute setze ich mich für andere ein und ich liebe diesen (übernommenen?) Zug von mir.
Lob und Stolz von den Eltern gab es für lange Wanderungen und Zeugnisse, die ich von der Schule nach Hause brachte. Ich habe gelernt, dass Leistung wichtig ist und über meine (hauptsächlich körperlichen und mentalen) Grenzen zu gehen zu Erfolg führt. -> Das ist mein momentanes Hauptthema. Ich spüre, dass ich das ein wenig verändern möchte, bin aber so gut darin, mich über Leistung zu definieren, habe eine so grosse Willenskraft, dass ich ganz leicht über meine eigenen Grenzen gehe und ja, ich bin so süchtig nach der Anerkennung, dass es mir schwerfällt zu erfahren, dass weniger viel mehr sein kann.
Mein künstlerisches Schaffen hingegen (ich denke an ein nicht ganz ernst gemeintes "Oh, gaht das Gschrei wieder los!" als ich meinen Sologesang übte, einen auferlegten Glaubenssatz "Koordinativ bist du halt einfach nicht begabt(, das war bei mir auch so)" wenn ich tanzen wollte oder die Tatsache, dass eine mir wichtige Person an einer mir wichtigen Musicalaufführung nicht erschien und ich daher keinen Fan im Publikum hatte) wurde weniger gefördert bzw. gestärkt. -> Hier gibt es eine Unsicherheit, die mir heute ein wenig im Weg steht. Ich sträube mich gegen Improvisationen und gehe erst auf die Bühne, wenn alles perfekt ist.
Ein unglaublich strenger Job sorgte dafür, dass keine Energie übrigblieb, um Bedürfnisse zu benennen. Dadurch unerfüllt gebliebene Bedürfnisse führten dann zu einem Ausbruch, den ich als Kind wohl oder übel mitbekam. Ich lernte meine Feinfühligkeit zu stärken, Bedürfnisse anderer zu erraten und meine eigenen gegebenenfalls hintenanzustellen und nicht zuletzt, dass Kontrollverlust gefährlich sein kann. -> Bis heute ist mir eine sorgfältige Planung enorm wichtig und auch das ständige Mitteilen meiner Pläne, um allfällige Reaktionen zu spüren und nicht überrascht zu werden. Ob mich das als erwachsene Frau eher schützt oder krank macht?
Blieb vor dem Abendessen nicht genügend Zeit, den Tag zu verarbeiten, war die Stimmung unerträglich angespannt. Meine Strategie war die Flucht. Ich lernte Rückzug, entwickelte einen grossen Wunsch nach Unabhängigkeit und konnte zuletzt auch den Auszug aus dem Elternhaus kaum abwarten. -> Ich mag meine Eigenständigkeit, habe aber auch eine klitze-, klitzekleine Bindungsangst und lasse nur wenige Personen wirklich nah ran.
Beim tatsächlichen Auszug stand meine Familie vereint in der Garagentür, winkte und weinte. Einer der schlimmsten Momente meines Lebens, da ich mir dessen bewusst wurde, wie sehr ich mir diese Verbundenheit vorher gewünscht hätte. Es fühlte sich an, als ob es mein Gehen brauchte, damit meine Familie in dieser Phase als solche zusammenstehen und die immer dagewesenen Gefühle zeigen konnte. Ich habe gelernt, wie wichtig kontinuierliche Kommunikation und das Zulassen von Gefühlen ist. -> Die Essenz meiner langjährigen, glücklichen Beziehung.
Egal was war, ich wurde immer und in jeder Situation geliebt. Und auch wenn es manchmal nicht gezeigt wurde, wusste ich es immer mit unerschütterter Sicherheit. Ich lernte, dass Vertrauen und Liebe der Grundstein des Lebens sind. -> Werte, die ich immer, immer im Herzen tragen möchte.
Zum Abschluss ein kleiner Favorit von mir: Die Rückmeldung "Braucht Führung". Wie die mich geprägt hat, bin ich mir nicht sicher, aber ich denke mehrmals im Jahr darüber nach, also muss da noch etwas sein...
Natürlich sind das alles nur Momente, denen ich mit einem Augenzwinkern viel Bedeutung zumesse. Ob das Eine wirklich mit dem Anderen zusammenhängt, wie viel genetisch oder anders bedingt ist, was ich vergessen oder im Nachhinein kreiiert habe und was mich in den wichtigsten ersten drei Lebensjahren geprägt hat, weiss ich nicht, doch so viel Freiheit in den Gedankenspielen sei mir erlaubt.
Jetzt habe ich mehr geteilt, als ich gedacht hätte. Aber hey; "Wer nicht wagt, der nicht gewinnt". Denk doch mal über deine eigenen prägendsten Momente nach, darüber wie sie dich geformt und dir geholfen haben und ob sie das noch heute tun...
Herzlich,
ani.actress
Sehr schöner Text, Danke! Ich könnte einiges dazu sagen, aber das wäre vielleicht anmassend!
Gut gemacht!