Hallo Sonnenschein
Gemütlich sitze ich am Küchentisch und bin mir sehr bewusst, dass ich morgen früh bereits wieder abreise. Vier Tage bin ich jetzt schon hier und geniesse die Zeit trotz aufgerissener Haut an den Fingern über alle Massen. Freie Tage sind einfach etwas Schönes!
Meine Ferien auf dem Gestüt Kaiserhof in Baden-Württemberg verbringe ich allein – zumindest die Zeit drinnen. Sobald ich vor die Tür gehe, umgeben mich circa 50 Pferde (davon die Hälfte gestütseigene) und viele hilfsbereite, strahlende Angestellte. Meine Mutter meinte, es sei früh, in meinem Alter alleine wegzufahren. Ich bin fast dreissig, ich finde, es ist höchste Zeit, selbständig für mich zu sorgen und Träume (auch wenn sie klein sind und spontan entstehen) zu verwirklichen.
Anreise
Die bemühte Dame am Schalter der Schweizerischen Bundesbahnen ist weniger hilfreich als erhofft. Für die Dauer eines Spielfilmes stehe ich vor ihrem Arbeitsplatz und brauche doch nicht mehr als ein Ticket nach Deutschland und zurück. Erst möchte sie mir einen Fahrschein ab einem frei gewählten Abfahrtsort verkaufen ("...ab Olten gäbe es auch noch gute Verbindungen, ich schau mal schnell") – gute Frau, ich wohne, wo ich nun mal wohne (nicht in Olten), und möchte auch gerne von da aus starten – unabhängig davon, ob es von anderen Orten günstigere oder weniger umständliche Verbindungen gäbe. Dann will sie partout nicht verstehen, dass ich nicht bereits um 9 Uhr in der Früh fahren will (mein Hund wäre viel zu lange allein zu Hause und ich eine Stunde vor Check-In bereits am Ziel), auch wenn die Verbindung schneller ist. Zu guter Letzt stellt sie meine Geduld auf die maximale Probe, indem sie mir erklärt, dass sie die Fehlermeldung beim letzten Schritt vor dem Kauf des Retourtickets nicht versteht ("Ist immer gut, wenn eine Fehlermeldung kommt, bei der niemand weiss, was sie genau bedeutet..."). Sie klickt die Meldung weg, bevor ich sie selbst lesen kann und beschliesst, ein Bilettverkauf sei leider nicht möglich. Sie empfiehlt mir wärmstens, die Rückreise direkt in Deutschland zu organisieren. "Die haben bestimmt auch einen Ticketschalter." Ich fahre nach Legelshurst. Rückreise ist am Sonntag. Ich denke, der Tipp erübrigt sich.
(Kleiner Spoiler: Ich hatte recht, Legelshurst hat keinen Ticketschalter.)
Die Anreise an sich verläuft aber ganz unproblematisch. Ich erreiche trotz schwerem Koffer alle Anschlüsse und fahre pünktlich in Legelshurst ein. Jetzt noch ein zwanzigminütiger Fussmarsch (das Gelände ist flacher als befürchtet und dank Platten auch mit Rollkoffer gut begeh- bzw. -fahrbar).
Unterkunft
Da sich die Tür meines Appartements nicht mit dem Schlüssel öffnen lässt, begleitet mich die Angestellte zurück zur Verwaltung, wo ihr Chef meint, ich sei doch bereits vor Tagen kostenfrei upgegradet worden. In meinem ursprünglichen Zimmer wohnt ein anderer Gast, der glücklicherweise den Schlüssel von innen stecken hatte.
Mir wird eine grosszügige Wohnung mit abgetrenntem Schlafzimmer, Badewanne und Dusche sowie luftigem Wohn-/Essbereich gezeigt. Auf der Terrasse steht ein langer Tisch mit acht Stühlen. Direkt schade, dass mich einzig der Hofhund am Morgen des dritten Tages besuchen kommt.
Sehenswürdigkeiten
Sonnenschein, ich sags wie es ist: Legelshurst hat nicht wirklich viel zu bieten. Wenn du mich schon länger liest, wirst du wissen, was ich meine, wenn ich sage, es herrschen Kiruna-Vibes... Keine Läden, keine Veranstaltungen, sogar die Kirche finde ich verschlossen vor. Ich könnte bestimmt ins nahe gelegene Strassburg oder nach Offenburg ausweichen, wenn ich auf Erlebnisjagd wäre, aber dafür bin ich ja nicht hier.
Zu meiner Buchung gehören sechs Reitstunden in der anerkannten Reitschule des Gestüts. Es ist November und nicht viel los, daher lerne ich gleich mehrere sehr talentierte Reitlehrerinnen kennen und komme sogar in den Genuss, einen Dressurlehrgang bei Claudia Kaiser höchstpersönlich (geht mit ihrem Pferd Blickfang CK ***S) zu beobachten. Ich selbst habe Dressurunterricht auf Lilly bei Vanessa, springe mit Shanoa (wobei sie eher mit mir springt), die mir auch für eine Dressurstunde bei Jule zur Verfügung steht, und Duni, einem frechen Isländer, der mich mit seinen Flausen so zum Lachen bringt, dass ich fast das Reiten vergesse, und reite zum Abschluss auf der riesigen First Lady, die unglaublich fein reagiert und sich am kleinen Finger reiten lässt, ins Gelände.
Die Schulpferde sind super ausgebildet und perfekte Lehrmeister. Alle drei (bei Lilly bin ich mir nicht ganz sicher, da ich zum Zeitpunkt der ersten Reitstunde noch gar nicht richtig angekommen war) zeigen Mankos lückenlos auf. Die Gleichung ist simpel: Gut geritten = tadelloses Ergebnis, schlecht geritten = halbherziger Versuch aus reinem Goodwill des Pferdes. Es macht unglaublich viel Spass, da die Pferde alles für den (guten) Reiter geben und die Lehrerinnen auf Freude, genügend Pausen und ein gesundes Mass an "Fordern" achten.
Kulinarisches
In meinem Appartement gibt es eine Kochzeile. Lebensmittel habe ich von zu Hause mitgebracht. Ich esse.
Und sonst so
Wenn ich nicht auf dem Pferd sitze oder Fohlen kuschle, lerne ich für meine neuste Ausbildung (Details folgen), lese, merke beim Yoga, wie ich immer unbeweglicher werde und immer mehr Winkel meines Körpers kennenlerne und spüre oder schaue "Hochzeit auf den ersten Blick".
Jetzt versuche ich mich an einer Linthmais-Polenta-Fertigmischung, packe meinen Koffer und bleibe gespannt, ob mit meiner Verbindung (für die ich vorgängig im Internet selbst ein Ticket gelöst habe) morgen alles klappt.
Herzlich,
ani.actress
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