Hallo Sonnenschein
Eine Kollegin macht mich auf ein Konzert aufmerksam. Sie singt seit drei Jahren in einem Gospelchor und würde sich freuen, beim Auftritt einige bekannte Gesichter zu sehen. Ich überrede Belle, mich zu begleiten, und wir machen einen Mädelsabend daraus.
Nach einem leckeren Abendessen beim Italiener machen wir uns zu Fuss auf zur Konzertlocation. Gesungen wird im Traditionslokal "Weisser Wind" in Zürich – ich kenne den Theatersaal hauptsächlich als Caveman-Höhle.
Die Erwartungen sind eher niedrig, da der Trailer, den meine Kollegin vorab verschickte, mich nicht zu überzeugen vermochte. Aber – du kennst mich – das hindert mich keineswegs daran, einen Abend mit Kultur zu füllen und dabei einen wundervollen Menschen zu unterstützen.
Ich wähle einen Platz ungefähr in der Mitte des Saales mit guter Sicht auf die Bühne und plaudere mit Belle. Die anderen Zuschauer nehme ich kaum wahr. Und so fällt mir auch nicht auf, dass vorne links eine weitere Kollegin und treue Leserin dieses Blogs sitzt. Sie entdeckt mich erst nach der Zugabe – selbst in der Pause haben wir uns also verpasst. Wie enttäuschend!
Das bleibt allerdings auch der einzige Wermutstropfen des Abends. Die Musiker*innen übernehmen die Bühne und erobern unsere Herzen. Ich bin so positiv überrascht, dass ich fast sprachlos bin. Eine fantastische Solist*in nach der anderen schleicht sich aus den hintersten Reihen des Chores ins Licht. Es wird gerockt, gepopt und gegospelt. Anfangs finde ich es ein wenig schade, dass nicht nur Gospel vorgetragen wird, doch schon nach den ersten Tönen kann ich nicht anders, als mitzufeiern. Blöd nur, dass so eng gestuhlt werden musste (das Konzert ist ausverkauft) und es hinter uns auch noch Publikum gibt. Ich hätte bestimmt den ganzen Abend mitgetanzt – natürlich nicht die hochkomplexen Choreos, die sie auf der Bühne umsetzen, da werden ja teilweise schnippende Hände und lautlose Füsse gleichzeitig bewegt – aber so kann ich das Belle nicht antun.
Ein charmantes Moderatoren-Duo führt galant und mit Witz durch den Abend und der Chor zeigt stimmige Versionen von altbeliebten Liedern. Bei den eigentlichen Gospelgesängen übernimmt meist die Choreografin den Lead. Ich glaube, sie weiss gar nicht, wie gut sie ist. Eine Wahnsinnsstimmfarbe – sie darf sich ruhig ein bisschen mehr zeigen. Natürlich höre ich auch meine Kollegin ganz gut raus und bin ordentlich stolz.
Das erste Mal seit eineinhalb Jahren denke ich wieder: "Da, wo ich heute sitze, das ist die falsche Seite der Bühnenkante!" Juhu, ich spüre mich wieder so, wie ich mich kenne, Glückshormone rauschen durch meine Blutbahnen und hinterlassen kribbelige Vorfreude. Die Phase, in der ich nicht recht wusste, ob ich überhaupt jemals wieder zurück in die darstellende Kunst möchte, scheint vorbei.
Nach der Zugabe stehen meine Kolleginnen und ich noch etwas länger mittig im einzigen schmalen Ausgang und verabschieden uns voneinander. Dann fahre ich nach Hause und unterstütze das nächste Projekt des Zurich Gospel Choir: Es wird ein Album geben! Ich darf nicht nur das Konzert im Januar als Basis für die Aufnahmen besuchen, sondern werde auch die CD daheim aufdrehen und mich dazu bewegen. Oder bügeln. Oder bügeln und mich bewegen. Es wird auf alle Fälle ein Fest der gelungenen Töne!
Herzlich,
ani.actress
PS. Auf dem Ticket ist das Ende der Veranstaltung mit 23:30 Uhr angegeben. Das ärgert Belle und mich schon in der Planungsphase (Was soll das? Wir werden nicht jünger, mitten in der Nacht sind wir mit Sicherheit nicht mehr freiwillig in der Stadt anzutreffen!), kurz beim Italiener (Was glauben die eigentlich, was für Maschinen sie sind? Kein Mensch singt dreieinhalb Stunden am Stück – auch nicht mit Pause!) und ein letztes Mal kurz nach dem Konzert (Gehts noch? Da steht 23:30 Uhr – die können doch nicht einfach um 22:20 Uhr schon den Saal verlassen! Hallo? Wir wollen mehr!), aber dies nur am Rande ;-).
Wunderbar, dass du einen so schönen Abend hattest!
Ich selbst besuche keine Gospel Konzerte mehr. Das letzte Mal war in Wallisellen, vermutlich in den 90-er Jahren. Mir gefällt der Gesang, aber das ewige Klatchen während der ganzen Show nervt mich grausam. All die guten Stimmen rücken in den Hintergrund. Jetzt höre ich zu Hause Bluegrass Gospel und das reicht mir! :-)