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Halsbrecherische Prüfungsfahrt

Hallo Sonnenschein


Einige Menschen prägen dich nachhaltig. Sie sind mitverantwortlich für eine Begebenheit oder Wendung in deinem Leben und werden immer in Erinnerung bleiben. Bewusst oder unbewusst spielen sie eine wichtige Rolle in deinem Werdegang. An eine solche Person wurde ich kürzlich erinnert. Die Rede ist von meinem Prüfungsexperten Herrn Käfer.


Da ich mittlerweile über einige Jahre mehr oder weniger unfallfreie (was ist schon ein kleiner Sachschaden am Auto des Vaters?) Fahrpraxis verfüge, erlaube ich mir, diese Geschichte als verjährt zu betrachten und hier in allen Details zu erzählen.


Zur Vorgeschichte: Ich wollte nie wirklich Autofahren lernen. Meine Mutter konnte keine Begeisterung gegenüber dem Gefährt aufbringen, mir wurde immer übel, ich mochte unsere Zugfahrten und bin nach wie vor überzeugtes ÖV-Kind. Ausserdem fing ich davon aus, dass ich später chauffiert würde – schliesslich bin ich (in dieser Hinsicht) eine kleine Diva. Als ich endlich jemand Passenden gefunden hatte (meinen Freund), weigerte der sich standhaft, Fahrstunden zu nehmen und eine Prüfung (zum Chauffeur) abzulegen. Ich musste also wohl oder übel selbst ran. Dazu kam, dass meine Eltern der Ansicht waren: "Es ist immer gut, für Notfallsituationen vorbereitet zu sein und ein (notfalls fremdes) Auto lenken zu können und zu dürfen."


Zum Zwischenspiel: Nun gut. Ich dackelte also zum Fahrlehrer und liess mir die Kunst des sicheren Fahrens erklären. Witzigerweise entschied sich mein Freund just in dieser Zeit, mit dem Motorradfahren zu beginnen und war letzten Endes noch vor mir eigenständig mobil unterwegs... Ein ganz klein wenig halte ich ihm das heute noch vor.


Zum Zeitpunkt der Prüfung war ich gut gelaunt und liess mich von der Besorgnis, welche das Gesicht meines Fahrlehrers überzog, als er erkannte, dass ich zwei Experten haben würde, nicht anstecken. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht zwei Personen von meinem Können überzeugen könnte. Ich fuhr los, liess das Strassenverkehrsamt hinter mir, bog nach rechts ab und fuhr geradewegs auf eine Kreuzung zu. Bis ich halt nicht mehr fuhr. Wir standen still. Der junge Experte neben mir war kräftig auf die Bremse getreten. Verdutzt schaute ich ihm ins Gesicht. "Da vorne kommt ein Rechtsvortritt. Sie können hier nicht so schnell auf die Kreuzung zufahren!" Verstehe ich nicht. Es gilt Tempo 50. Ich drehte meinen Kopf weiter nach rechts und suchte nach einer herannahenden Gefahr. Da war nur Hecke. Eine riesige, grosse Hecke umzäunt ein relativ grosses Grundstück und zieht sich bis ganz vorne zur Kreuzung. Am liebsten hätte ich gesagt: "Aber, jetzt stehen wir ja viel zu früh, da sehe ich nicht, ob jemand kommt. Vorne bei der Kreuzung hätte ich natürlich angehalten oder mindestens abgebremst – es handelt sich hier schliesslich um einen Rechtsvortritt..." Ich traute mich nicht. Das wars dann wohl mit der Prüfung.


Ich überlegte, ob ich zurück ins Strassenverkehrsamt fahren und die Herrschaften direkt wieder abladen sollte, entschied mich aber dafür, die restliche Prüfung als (sehr teure) Fahrstunde zu betrachten. Entspannt und frei von jeglichem Druck absolvierte ich alle Manöver und landete sicher wieder beim Strassenverkehrsamt. Als Rückmeldung kam der Rechtsvortritt, welchen ich "übersehen" hatte, und die Tatsache, dass ich bei den Spurwechseln auf der Autobahn keine ausreichenden Spiegel- und Seitenblicke getätigt hatte. Angesichts meiner anfänglichen Panik auf der temporeichen Strasse bezweifle ich auch die Korrektheit dieses Feedbacks, aber gut. Mein Fahrlehrer meinte bloss: "Wusste ich es doch, wenn sie zu zweit sind, hast du keine Chance. Tut mir leid!"


Ausser meiner Schwester wusste niemand von meinem Prüfungsversuch. Ich wollte die anderen mit meiner Fahrbewilligung überraschen. Hat halt nur nicht funktioniert. Den zweiten Versuch habe ich dann angekündigt. Definitiv Untergehen will ich dann schon mit Ansage.


Zur Geschichte: Einige Tage später trete ich zum zweiten Versuch an. Wir haben noch zwei lustlose Fahrstunden zum Thema Rechtsvortritte absolviert und mein Fahrlehrer glaubt an mich. Ich hingegen bin unglaublich nervös. Wenn ich diesmal nicht bestehe, muss ich zur psychologischen Abklärung und da kommt bestimmt raus, dass ich nicht ganz neurotypisch bin – ob nun, weil es den Tatsachen entspricht, oder weil ich mich bei der Befragung selten dämlich anstelle, darüber ist sich meine Fantasie noch nicht ganz klar. Ein rüstiger Rentner mit rundlichem Gesicht und freundlichen Augen begrüsst mich herzlich und stellt sich mit gespielter Strenge als Herr Käfer vor. Er ist seit Jahren pensioniert, hilft aber hin und wieder als Experte aus, wenn zu viele Prüflinge begutachtet werden müssen. Mein Fahrlehrer ist begeistert.


Wir steigen ein und dann gilt es ernst. Wir fahren durch viele Quartierstrassen, ich weiss schon lange nicht mehr, wo wir sind. Ich achte peinlich genau auf die Rechtsvortritte und bemühe mich ansonsten, das Tempo zu halten. Als vorsichtige Fahrerin tendierte ich anfangs zum Schleichen. Dann kommt sie, die ominöse 20er Zone. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Schild für mich gilt und rase mit 30 um eine Kurve. Herr Käfer rutscht auf seinem Sitz und hält sich klammernd am Haltegriff über dem Beifahrerfenster fest. "Fahren sie immer so schnell?!", schnaubt er, als das Auto wieder auf gerader Strecke fährt. "Nein", meine ich kleinlaut, "mein Fahrlehrer sagt immer, ich müsse ein wenig schneller fahren." Die Stimmung im Auto ist unangenehm angespannt.


Kurz darauf soll ich rechts abbiegen. Am Strassenrand fährt ein Fahrrad, der Fahrer will weiter geradeaus. Ich treffe die dümmste Entscheidung überhaupt und versuche verzweifelt, den Radfahrer direkt vor der Kreuzung zu überholen. Es geht bergauf. Ich bin im dritten Gang. Im Schneckentempo beschleunigt der Wagen – und auch nur minimal. Herr Käfer erkennt den Ernst der Lage sofort (ich hätte dem Fahrradfahrer bestimmt den Weg abgeschnitten oder ihn gar auf die Motorhaube bugsiert) und schreit: "Aber sicher nicht so!" Dann coacht er mich sicher und unfallfrei aus der Situation: "Jetzt schalten Sie in den zweiten Gang, drücken ordentlich aufs Gaspedal, blinken, machen einen doppelten Seitenblick und ziehen zügig nach rechts." Anschliessend betont er, dass ein Überholmanöver so kurz vorm Rechtsabbiegen nie sinnvoll sei. Habe ich verstanden.


Ohne weitere Vorkommnisse dirigiert er mich zurück zum Strassenverkehrsamt. Ich habe versagt. Wir sind nicht mal eine gültige Prüfung gefahren. Wir waren weder auf der Autobahn noch wurden Manöver abgefragt. Ich muss zum Psychologen. Da sehe ich meine letzte Chance und ergreife sie. Wenn ich meinen Frust noch ein wenig intensiviere, nur ein klein wenig nachhelfe (für irgendetwas muss die Schauspielausbildung schliesslich gut sein)... Nach der letzten Kreuzung lasse ich den Tränen freien Lauf. Ich schluchze nicht, sondern weine leise vor mich hin. Auf den letzten Metern kann ich vor Wasser in den Augen kaum mehr sehen. Herr Käfer fühlt sich mit jeder Sekunde merklich unwohler. Er ist gefangen im Fahrzeug, kann nicht weg, muss aushalten. Bis er schliesslich sagt: "Nun hören Sie schon auf zu weinen, Sie haben doch bestanden." Jetzt kann ich nicht mehr aufhören. Vor Erleichterung kullern die Tränen und verursachen nun auch bei meinem wartenden Fahrlehrer ein geschocktes Gesicht. "Was ist passiert?", fragt er ungläubig. Nichts – alles. Auf Herrn Käfers Rückfrage, ob ich jeweils ein wenig rasant unterwegs sei, antwortet er verwirrt: "Rasant, nein, überhaupt nicht, ich muss zusehen, dass wir den Verkehr nicht behindern durch ihr Tempo, wieso meinen Sie?" Damit ist die Sache geritzt und Herr Käfer verschwindet, um sein Wort mit einem Stempel zu besiegeln.


Zum Nachspiel: Auf dem Erinnerungsfoto für den Fahrlehrer – darauf sollte ich mit seinem Fahrschulauto zu sehen sein – bin ich noch leicht verweint. Mein Fahrlehrer wünschte mir eine gute Zeit und viel Erfolg im Leben. Ich musste irritiert geblickt haben, denn er erklärte lachend: "Normalerweise sehen sich Fahrschüler und Fahrlehrer nach bestandener Prüfung nicht wieder." Das fand ich irgendwie traurig, habe mich aber bis heute dran gehalten.


Ich war eine richtige Streberin. Im Wiederholungskurs zwei Jahre nach bestandener Prüfung war ich die einzige, welche noch nie fahrunfähig hinter dem Steuer sass. Der Instruktor glaubte mir nicht. Fragte, ob ich wirklich noch nie dies oder das getan hatte und dann Auto fuhr. Nein, wirklich nicht. Ich meinerseits war schockiert, welche Dummheiten die anderen Kursteilnehmer bereits begangen hatten – ein Glück, dass nie etwas passiert war!


Später war ich für die Arbeit auf ein Auto angewiesen. In dieser Zeit bin ich dann doch hin und wieder (hauptsächlich wegen Müdigkeit nach langen Frühschichten) fahrunfähig gefahren. Obwohl ich mich dabei nie wohlgefühlt habe, war die Alternative (Auto stehen lassen und jemand Fahrfähigen organisieren, der es noch vor dem nächsten Frühdienst abholt und in unsere Garage stellt) doch oft zu umständlich – ich weiss nicht mit Sicherheit, wie ich das heute handhaben würde. All die anderen Gründe für Fahrunfähigkeit kann ich nach wie vor absolut nicht nachvollziehen. Trinken während der Fahrt, Navi einstellen während der Fahrt, Kurznachrichten verschicken bei laufendem Motor, fahren nach Suchtmittelkonsumation usw. usf. Das Risiko kann es nicht wert sein.


Heute lebe ich glücklicherweise an einem Ort mit guter ÖV-Anbindung und kann gut aufs Auto verzichten. Zudem hat mein Freund sich tatsächlich ein Auto gekauft und spielt (man mag es kaum glauben) gerne meinen Chauffeur. So bin ich in den letzten fünf Jahren nur ein einziges Mal gefahren. An Herrn Käfer habe ich hingegen öfter gedacht. Ich glaube, er weiss gar nicht, wie dankbar ich ihm damals war und immer noch bin. Sie haben einen doch schon ziemlich wichtigen Tag für mich gerettet. Danke und nochmals Entschuldigung für die schlechteste Fahrt meines Lebens (einige Beifahrer würden vielleicht widersprechen, da ich auch später noch die ein oder andere Kurve schwungvoll genommen habe, aber aus meiner Sicht war die Prüfung der Tiefpunkt meiner Autofahrlaufbahn) – und ein kleines Sorry auch für mein Weinen – tut mir echt leid!


Herzlich,

ani.actress

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