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Ladies Night

Hallo Sonnenschein

 

Wenn ich Zeit oder Geld oder ganz explizit keines von beidem habe, bin ich total anfällig für Werbung von schönen Dingen oder Erlebnissen. So kommt es, dass ich, kaum kriege ich die Mail zur bevorstehenden Ladies Night im Kino, "Weiterleiten" drücke und gar nicht länger nachsinne. Belle und ich schauen einen Film.

 

Ich tausche meine Schicht mit einer tollen Kollegin und buche die Tickets. Es ist ein Abend unter der Woche. Zu einer Zeit, zu der wir eigentlich bereits im Bett liegen sollten (ich es trotzdem ganz sicher nie tue – daran arbeite ich noch), sind wir mitten in der Stadt. Wie erwachsen...

 

Der Event beginnt ganz lustig. Wir haben vorher einen Döner gegessen (getrunken wurde nichts, denn das haben wir bei der Bestellung vergessen und logischerweise sind wir später bereits zu müde, um den Widerstand im Kopf nachträglich noch etwas zu holen, zu überwinden) und sind bereits früh vor Ort.

 

Bald wird das Kino "abgesperrt" und ein Mitarbeitender kontrolliert die Tickets. Von unserem Platz auf dem Sofa können wir gut hinter ihm in den abgetrennten Bereich gelangen und schleichen uns unbemerkt zur Bar. Amateure. Wie viele Getränke sind im Ticket enthalten? Da nachzuschauen viel zu umständlich wäre und niemand auf eine Limitierung zu achten scheint, entscheiden wir uns für je zwei Apérogetränke und ein Wasser. Irgendwie sind wir heute dreister als sonst.

 

Mit Popcorn bewaffnet gehören wir zu den ersten, die ihre Plätze auf dem Balkon einnehmen. Tatsächlich werden hier unsere Eintrittskarten geprüft. Beziehungsweise sollten sie geprüft werden. Eine wird eingescannt, danach ist der jung wirkende Mitarbeitende des Kinos wieder damit beschäftigt, heillos überfordert zu sein. Links und rechts rennen die Mädels an ihm vorbei, während er in ein Telefon zischt, dass es für zwei Reihen keine Boxen habe. Lustig, sechs Getränke und zwei Filmansichten hätte es also mit einer Eintrittskarte geben können.

 

Wir sitzen ziemlich in der Mitte und sind auf zwei Seiten durch dünne Wände begrenzt. Von unseren Plätzen aus überblicken wir den halben Kinosaal. Belle fragt mich, warum in den Reihen vor uns Geschenke bereitliegen. Aha, die ominösen fehlenden Boxen also. Belle will auch ein Werbegeschenk und kann es kaum glauben, dass es bei uns tatsächlich keine gibt. Ich bin in guter Stimmung und mache verschiedene Vorschläge: Mach dem Mitarbeitenden doch eine Szene, klau welche aus den Reihen vor uns – wer zuerst kommt, mahlt zuerst – frag eine Boxenbesitzerin, was drin ist... Dass dieser Mitarbeitende genügend Boxen herzaubert und an uns verteilt, halte ich für sehr unwahrscheinlich.

 

Amüsiert beobachte ich das Treiben im Saal und freue mich auf den Film. Verrückt, wie Frauen sich verhalten, wenn es so günstige Tickets inklusive Goodies gibt. Vielleicht auch verrückt, wie sich Frauen generell verhalten – ich sehe selten so viele in einem Raum... Unsere Reihe ist gut gefüllt, als Belle plötzlich aufsteht und an allen vorbei zum Aufgang geht. Fasziniert blicke ich ihr nach.

 

Schnellen Schrittes begibt sie sich zur vorderen Sitzreihe, beugt sich über die Stuhllehne und greift sich kurzerhand zwei Boxen. Ich traue meinen Augen kaum. Für mich war klar, dass wir diese Idee (noch) nicht wirklich in die Tat umsetzen – wir können uns unsere Geschenke doch nicht einfach selbst nehmen! Brav drehen alle Ladies unserer Reihe die Knie zur Seite und schauen ihr mit einer Mischung aus Neid und Fassungslosigkeit in den Augen nach, als Belle mit zwei Boxen im Arm den Rückweg bis zu ihrem Platz neben mir antritt, sich in den Sessel fallen lässt und mir eine Box in den Schoss drückt. Ich könnte im Boden versinken.

 

Interessant. Normalerweise funktioniert unsere Beziehung andersherum. Belle zerdenkt alles und ich mache halt mal. Ich nehme selten ein Blatt vor den Mund und stehe für uns ein, während sie sich duckt und fremdschämt. Jetzt hat sie gehandelt. So mutig kenne ich sie gar nicht und ich bin mir nicht sicher, ob mir diese Rollenverteilung gefällt. Fühlt sich Belle ständig so, wenn sie mit mir unterwegs ist? Ist ja furchtbar, eine beste Freundin zu haben, zu der man ganz klar gehört, die dann aber Dinge tut, die man selber (noch) nicht tun würde. Dieser Kontrollverlust, während man mit drin hängt…

 

Wir werden von zwei Seiten auf die Boxen angesprochen und antworten lapidar, dass sich ja jede selbst eine klauen kann. Belle macht das Geschenk auf und es bestätigt sich meine Vermutung: Den Inhalt braucht kein Mensch. Wofür bitteschön gibt es einen Selbstbräuner, der sechs Stunden einziehen muss, bevor er abgeduscht werden kann?

 

Das Licht wird gedimmt, Werbung läuft auf der Leinwand und die beiden ehemaligen Geschenkbesitzerinnen betreten das Kino. Sie finden ihre Plätze und sehen sofort, dass etwas nicht stimmt. Die Sitznachbarin zeigt mit dem Finger auf Belle und mich. Diese Ratte. Belle während der Aktion nicht ansprechen, aber dann gleich petzen. Ich mag keine unaufrichtigen Menschen.

 

Das Zweierteam (zwei Girls, schätzungsweise fünf bis zehn Jahre jünger als wir) kommt direkt auf uns zu. Sie stehen vor uns, sodass wir von unserer erhöhten Position auf sie herabschauen können – ungünstiger Schachzug der beiden. Die Alphafrau fragt, ob wir ihre Boxen genommen haben. Wir bejahen. Sie bittet uns höflich, sie herauszurücken. Im Grundsatz hat sie natürlich recht und ich bewundere ihren Mut und ihre Direktheit. Belle schaut mich hilfesuchend an. Ist klar, wenn Stress naht, ist der Ball wieder bei mir.

 

Eigentlich müssten wir die Geschenke zurückgeben, aber so leicht geht das nicht. Zuerst muss ich Belle den Rücken stärken. Ich erkläre, dass bei uns keine Boxen lagen und wir uns daher bei noch freien Plätzen bedienten. Alphafrau findet das unverschämt (stimmt) und fordert sofortige Rückgabe (nicht schlecht, meinen Respekt hat sie). Dann begeht sie einen groben Fehler. Sie stellt Mitläuferin und sich über uns. Sie habe für das Geschenk bezahlt, das sei in ihrem Ticket enthalten, denn sie habe Balkon und extra früh gebucht. Eine kurze Analyse unserer Sitzplätze in meinem Kopf ergibt, dass ich definitiv vor ihr gebucht habe, denn unsere Plätze sind um Welten besser. Abgesehen davon bin ich jetzt nicht mehr zu Kompromissen bereit. Auch wenn die Situation vor allem unangenehm ist, ich nicht ausreichend vorbereitet bin (Belle hat den Klau nicht mit mir abgesprochen, also kam der Entscheid für mich ungeplant und zu früh) und das Adrenalin durch meinen Körper fliesst, beginnt die Sache jetzt, mir Spass zu machen.

 

Wir diskutieren ein wenig, dann hole ich zum finalen Schlag aus. "Wenn uns ein Mitarbeitender des Kinos bestätigt, dass wir die Boxen zurückgeben sollen, werden wir das unverzüglich tun", erkläre ich mit einer vernichtenden Sachlichkeit. Alphafrau bäumt sich noch einmal auf, dann entfernt sich das Zweierteam. Belle bedankt sich für meinen Support (hä, das ist mein Job als beste Freundin?!) und fragt nach meiner Prognose. Der junge Mitarbeitende ist einem Konflikt definitiv nicht gewachsen. Er wird alles dafür geben, zwei Boxen zu organisieren und wird diese Alphafrau und Mitläuferin geben. Zu uns wird er sich nicht trauen. So meine These (daher auch die Entscheidung für die gewählte Strategie). Play the man, not the game.

 

Ich hatte recht. Alphafrau tritt uns – jetzt mit neuem Geschenk unter dem Arm – verbal nochmals kräftig vors Schienbein (zu recht!) und setzt sich mit Mitläuferin in die Reihe vor uns. Ich sehe eine jüngere Version von mir in Alphafrau und denke, dass aus ihr bestimmt etwas werden wird. Zwar hat sie dieses Match verloren (sorry, ich spiel das Spiel schon ein wenig länger als du), aber wenn sie weiterhin so direkt bleibt, kann sie richtig viel erreichen im Leben. Ich mag sie.

 

Belle und ich schauen die ganz gut gemachte Komödie in Frieden und kämpfen uns durch die riesige Tüte Popcorn. Im Anschluss bedauern wir die Frauen ein wenig, die bis zum Ende ohne Geschenkbox bleiben, denn nach dem Film ist weit und breit kein Mitarbeitender mehr zu sehen.

 

Lachend verabschieden wir uns in die Nacht und ich bin gleichzeitig davon überzeugt, dass wir bald wieder etwas Verrücktes (ja, in meinem Alter zählt ein Kinobesuch unter der Woche bereits zu "etwas Verrücktes") unternehmen und die bunte Welt erleben müssen, und dass wir das auf keinen Fall wiederholen sollten, denn es gibt um diese Zeit nichts Schöneres, als mein Bett.

 

In diesem Sinne – gute Nacht!

 

Herzlich,

ani.actress

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