Hallo Sonnenschein
Mein Freund hat uns einen Gebärdensprachkurs geschenkt. Damit geht ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Oft hatten wir uns darüber unterhalten, wie unvorstellbar es uns scheint, ein Leben ohne Geräusche zu meistern, und wie wenig wir über die Kultur von Gehörlosen wissen. In der jetzigen Pandemie wird der Alltag von Menschen mit einer Hörbehinderung durch die undurchsichtigen Masken zusätzlich erschwert. Der ideale Zeitpunkt also, unser Vorhaben in die Tat umzusetzen und endlich zu lernen, was es mit der Gebärdensprache auf sich hat.
Einmal die Woche geht’s zum Kurs. Die Teilnehmenden sind interessiert, der Kursleiter sympathisch, offen und sehr geduldig und wir lachen viel. Bereits ab der dritten Lektion verständigen wir uns komplett ohne Sprache – selbst in den Pausen. Was wir noch nicht gebärden können, erfragen wir beim Kursleiter oder nutzen das Fingeralphabet und buchstabieren. Schnell wird aber klar, wie viel länger das dauert.
Es gibt nicht die eine Gebärdensprache, im Gegenteil. In Österreich wird anders gebärdet als in Deutschland oder der Schweiz – man verstehe sich aber trotzdem, das Mundbild basiere ja auf der deutschen Sprache, meint unser Kursleiter. Schwieriger wird es beispielsweise bei der amerikanischen Gebärdensprache (die sich wiederum von der Britischen und der Australischen unterscheidet) oder den anderen in der Schweiz gebräuchlichen Gebärdensprachen Langue des Signes Française (LSF) und Lingua Italiana dei Segni (LIS). Wir lernen die DSGS, also die Deutschschweizer Gebärdensprache.
Die Gebärden sind, wenn immer möglich, bildhaft, logisch aufgebaut und mit ein wenig Übung schnell verstanden. Mehr Mühe bereitet mir allerdings die Grammatik. Hier eine Erklärung des Schweizerischen Gehörlosenbundes: "Deutschschweizer Gebärdensprache ist nicht übersetztes Schweizerdeutsch oder Hochdeutsch. Wer gebärdet, denkt in Bildern. Das zu lernen, ist für viele hörende Menschen die grösste Herausforderung. Wer Gebärdensprache lernt, lernt eine Grammatik und Gebärden, aber vor allem lernt er ein neues, ein visuelles Sprachsystem kennen."
Um die Sprache dann auch (im "Originaltempo") zu verstehen, muss ich zusätzlich meinen Sehsinn schulen. Einerseits filtere ich, da ich mich immer auch auf meine Ohren verlasse, gefühlt mehr Informationen, die ich aus dem peripheren Blickfeld erhalte. So verpasse ich beispielsweise den Anfang einer Frage eines Teilnehmenden. Andererseits darf ich auch noch an meinem zielgerichteten Blick arbeiten. Das Wichtigste ist immer das Mundbild. Hat man dieses einmal verpasst, kann man sich in den verschiedenen Bedeutungen, welche eine einzige Gebärde hat, leicht verlieren. Also immer auf den Mund und die Mimik achten.
Unser Kursleiter hat übrigens immer den ganzen Raum im Blick. Selbst wenn ich in der Pause nochmals zu meiner Tasche gehe, begleiten mich seine Augen von der Tür, bis zu meinem Platz und wieder zurück. Was sich für mich ungewohnt anfühlt, ist für ihn ein Sammeln von Informationen. So stellt er sicher, dass er keinen Kommunikationsversuch verpasst und weiss gleichzeitig, was ich mache.
In total 72 Lektionen (ein Kurs umfasst 36 Lektionen) kann Niveaustufe A1 in der DSGS erlangt werden. Es wird also noch eine ganze Weile dauern, bis ich mich vernünftig ausdrücken kann. Die Motivation ist jedenfalls gross, deshalb mache ich jetzt auch gleich die Hausaufgaben (Gebärde: dominante Hand zur Faust ballen und mit der Seite des Zeigefingers und Daumens mehrfach die Schläfe berühren, Mundbild: HAUSAUFGABEN) fertig – die haben es echt in sich!
Herzlich,
ani.actress
Lieber edf
Das kann ich einerseits total verstehen, andererseits ist das doch ein Stück weit in allen Sprachen so, oder nicht? Trotzdem bereichert uns jede gelernte Form der Kommunikation ;-).
Alles Gute,
ani.actress
Lieber Hans
Dankeschön :-). Tatsächlich gibt es auch Gebärdensprach-Dialekte. In der Deutschschweiz lassen sich fünf unterscheiden (Bern, Basel, Luzern, St. Gallen und Zürich).
Glg
ani.actress
Ich wollte das eigentlich auch mal machen, aber ich habe erfahren, dass es sogar Unterschiede in der Gebärdensprache gibt, zum Beispiel wie Zürcher oder Basler reden.
Das hat mich dann irgendwie abgeschreckt.....
Echt cool was Ihr zwei da macht. Gibt es nebst den Unterschieden Schweiz/Deutschland/Österreich auch noch den Dialekt, wie wir sprechenden den kennen?