Hallo Sonnenschein
Lass uns über ein Tabu sprechen. Laut Bundesamt für Statistik ist Suizid die Ursache bei 15 von 1000 Todesfällen in der Schweiz. Täglich sind das zwei bis drei Suizidversuche mit Todesfolge. Angesichts dieser Zahlen kann sich jeder glücklich schätzen, der bisher nicht mit dem Thema konfrontiert war. Gleichzeitig ist es mir ein Anliegen, dass wir uns öffnen und Gespräche über Selbstmord nicht scheuen (müssen).
Es ist mir durchaus bewusst, dass den meisten Menschen (mich eingeschlossen) eine Ausbildung zum Umgang mit suizidalen Personen bzw. Suizidgedanken verwehrt bleibt oder bisher blieb. Ich bin auch davon überzeugt, dass das Thema nicht in jedem Moment und für jede Psyche erträglich ist. Bitte schütze dich selbst, wenn du merkst, dass dieser Artikel gerade zu viel für dich ist und lese ihn später oder gar nicht! Ich werde in den folgenden Zeilen ehrlich über meine eigenen Erfahrungen berichten, um den Dialog zu öffnen. Mein Ziel ist es, aufzuzeigen, dass wir eine grosse Gemeinschaft sind, Probleme gemeinsam angehen können und uns vielleicht ähnlicher sind, als wir oftmals denken. Du bist nie allein!
Ich persönlich kenne eine Person, die sich dazu entschieden hat, sich das Leben zu nehmen. Sie war eine grossartige junge Frau. Wir standen uns nicht sonderlich nah, was dazu führte, dass ich die Nachricht gut verarbeiten konnte und die Sache im Grunde totgeschwiegen habe. Für mich hat das gestimmt.
Ich kenne auch einige Personen, die im Verlaufe ihres Lebens mehr oder weniger akute Suizidgedanken hatten. Und immer wieder stelle ich fest: reden hilft! Reden verbindet und reden befreit. Geteiltes Leid ist halbes Leid und je mehr Mitwisser für einen da sind, desto höher steigt die Hemmschwelle, sich etwas unwiderruflich anzutun.
Die Gründe für einen Suizidgedanken sind so vielfältig wie wir. Das Gefühl, nicht geliebt, nicht gesehen, nicht gut genug oder einfach nur mit allem überfordert zu sein, sind nur einige mögliche Ursachen. Als Jugendliche dachte ich selbst hin und wieder darüber nach, wie es wohl wäre, nicht mehr zu sein. Bei mir war es Neugier. Wäre ich mutig genug, in die Tiefe zu springen? Was kommt danach? Was gibt es jenseits dieser Welt zu entdecken? Könnte ich sehen, wie die Hinterbliebenen mich vermissen? Ich habe nie über diese Gedanken gesprochen. Einerseits hatte ich kein Bedürfnis, wollte das mit mir selbst ausmachen, andererseits wollte ich unter keinen Umständen, dass sich mein Umfeld Sorgen macht. Ich wollte niemanden unnötig schockieren oder beunruhigen.
Nach einiger Zeit wurden die Vorstellungen allerdings so konkret, dass mich meine eigenen Gedanken ängstigten. Was, wenn ich die Kontrolle verliere und unüberlegt etwas mutmasslich Dummes anstelle? Ich lag auf meinem Bett und nahm mir vor, solange zu grübeln, bis ich einen zufriedenstellenden Gedankengang haben würde. An dem Tag realisierte ich, dass der Tod unumgänglich ist, das Leben aber nicht. Ich würde so oder so früher oder später die Antwort auf meine Fragen finden (ausser vielleicht auf die, ob ich mutig genug bin, irgendwo runterzuspringen, aber da habe ich einfach entschieden: "Ja, bin ich." Dieses Wissen reicht aus, ich muss und werde es niemandem beweisen – auch nicht mir selbst). Was ich aber nach einem Suizid nie mehr herausfinden kann, ist, was dieses Leben noch bereithält. Was es noch zu entdecken und erleben gibt. Welche Schwierigkeiten ich noch meistern werde, welche Prüfungen ich noch absolvieren darf und wie viel Schönes ich noch nicht kenne. Für dieses Leben habe ich nach jetzigem Wissensstand nur diese eine Chance und die will ich nutzen. Ich will das Leben auskosten und übe mich bezüglich dem Danach in Geduld. Was sind schon 100 Jahre warten, das Universum ist schliesslich uralt?
Damit war die Sache für mich gegessen und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich bis meine Zeit gekommen ist, egal was davor noch für Härtetests auf mich warten, am Leben festhalten werde. Zudem habe ich für mich erkannt, wie ich mit erneut auftauchenden Selbstmordgedanken umgehen könnte. In diesem Sinne haben mich die beängstigenden Gedanken also stärker gemacht.
Dass ich mit solchen versteckten Gedanken nicht allein bin, weiss ich mit Sicherheit. Menschen, die mir sehr nahestehen, haben eigene Suizidgedanken aus der Vergangenheit und Befürchtungen von potenziellen Suiziden in ihrem Umfeld mit mir geteilt. Ganz besonders stark und bewundernswert finde ich allerdings eine Freundin, die mich nur wenige Wochen nach unserem Kennenlernen geradeheraus fragte: "Hattest du eigentlich auch schon mal Suizidgedanken?" Ich kann mich noch ganz genau an die Situation erinnern. Wir sassen auf einer Bank am Bahnhof und warteten auf den Zug. Mit einem kurzen "Ja" öffnete ich die Konversation und erfuhr nicht nur von ihren eigenen dunklen Gedanken und mehr über selbstverletzendes Verhalten, sondern auch davon, dass sie einen der für sie wichtigsten Menschen auf diese Weise verloren hatte. Ihre Theorie war, dass jeder früher oder später daran denkt, sich das Leben zu nehmen. Meine Theorie ist, dass sie nicht gar weiss, wie stark sie eigentlich ist und wie sehr sie Vorbild sein kann.
Ich möchte uns alle ermutigen, mutig zu sein und auch schwierige, bedrückende Themen anzusprechen, entgegenzunehmen, auszuhalten. Uns verletzlich zu zeigen und Wunden anderer zu respektieren, macht nicht das Menschsein aus? Dabei dürfen wir nie vergessen, dass wir nicht allein sind und nie die ganze Verantwortung auf uns nehmen dürfen. Nicht als Hinterbliebene, nicht als Mitwissende und nicht als Betroffene. Wir haben viele Schultern – manchmal ist das Gewicht zu schwer für zwei. Hilfe ist immer in Reichweite. Und wenn du jemanden zum Reden brauchst, unter der Nummer 143 (Die Dargebotene Hand) kannst du deine Sorgen rund um die Uhr loswerden. Jugendliche gelangen über die Nummer 147 zu Fachleuten von Pro Juventute (dein Anruf erscheint nicht auf der Telefonrechnung deiner Eltern). Weitere Informationen sind auch über Reden kann retten oder feel-ok erhältlich.
Herzlich,
ani.actress
Liebe ani.actress
Danke für deine Gedanken! Ein sehr langer Kommentar, da kann ich gar nicht auf Alles antworten! Also ich selbst hätte nicht den Mut zu springen oder auf andere Art das Leben zu nehmen. Auch hatte ich noch gar nie den Gedanken auf diese Art zu gehen. Aber es ist schwierig in meiner momentanen Situation solche Gedanken zu haben. Ich kann mir aber vorstellen, dass es einen Moment im Leben kommen könnte, wo ich vor dieser Entscheidung stehe. Ich habe 2 Bekannte / Freunde , welche diesen Weg gewählt haben, allerdings mit EXIT, diese Strategie hast du gar nicht erwähnt. Das könnte ich mir gut vorstellen! Aber auf der anderen Seite bin ich zu faul, mich anzumelden. In meinem Umfeld gibt es aber…