Hallo Sonnenschein
Belle und ich sind unterwegs. Richtiges Weihnachtsprogramm steht an. Zunächst lasse ich Belle eine halbe Stunde am Treffpunkt die Kälte erleben (es wird langsam zur Normalität, dass ich unsere Treffen nicht pünktlich einhalte – es tut mir sorry!), anschliessend starten wir den Nachmittag mit einem gemütlichen Waffelessen.
Wir sitzen an einem Tischchen ca. 70 cm neben der Theke. Auf dem Tisch steht "Selbstbedienung". Wir stehen also auf, gehen eineinhalb Schritte und lassen uns die Karte geben. Belle will eine Waffel mit Blueberry-Cheesecake-Eis, ich möchte ein Früchtetörtchen mit Blueberry-Cheesecake-Eis. Dazu jeweils ein Wasser. Ich bin gerade dabei, mir eine Alternative auszuwählen, sollte das Törtchen aus sein, da meint Belle: "Ach Quatsch, die haben das schon – steht ja auf der Karte". Eineinhalb Schritte später geben wir die Karten zurück und unsere Bestellung auf.
Die Bedienung sieht uns prüfend an (wir sind schön, schlank, präsentieren uns weiblich, sehen nicht aus wie 13 (wobei ich mir da bei mir nicht so sicher bin – ich habe schon wieder kein Rubbellos gekriegt! Zum zweiten Mal in einem Monat. An verschiedenen Verkaufspunkten bei unterschiedlichem Personal), aber auch nicht wie 70, tragen Hosen keine Röcke und haben grün-braune und blaue Augen) und erklärt dann, dass ein Wasser für uns beide reicht. Belle bezahlt.
Mit einem Achtung-in-exakt-achteinhalb-ausser-ich-möchte-bereits-in-sieben-oder-erst-in-neun-Vorbereitung-unmöglich-haha-Minuten-erschrecke-ich-dich-mit-einem-sirenenhaften-nervtötenden-Piepston-der-sich-nicht-ausschalten-lässt-und-im-Umkreis-von-fünf-Tischen-(in-diesem-Fall-dem-ganzen-Lokal)-alle-Aufmerksamkeit-auf-sich/dich-zieht-und-einer-Vibration-die-dafür-sorgt-dass-ich-beim-Tragen-beinahe-aus-der-Hand-tanze-Gerät setzen wir uns erneut an unsere Plätze.
Ein Angestellter kommt (tatsächlich zu uns an den Tisch) und teilt mir mit, dass die Früchtetörtchen alle sind. Ich schicke Belle einen strafenden Blick und bestelle in Ermangelung genügender Vorbereitung schnell eine Crèpe. Belle hätte gerne den Preisunterschied erfahren, um zu wissen, wer jetzt wen betrogen hat, aber ich weigere mich, nochmals die Karte abholen zu gehen.
Bald surrt der Brummer und wir stehen auf, strecken die Arme und nehmen Gläser, Teller und eine Flasche Wasser entgegen. Nach dem Essen überlegen wir kurz, ob es wohl noch andere Menschen gibt, denen H2O abgesprochen wird, ob wir eine Ohnmacht aufgrund von Dehydrierung (es gab 250 ml Wasser ohne Kohlensäure für jeden) mit anschliessender professioneller Bewusstlosenlagerung vorspielen sollen und wann wir uns das nächste Mal sehen. Tipp für Profis: Neue Termine am Anfang und nicht gegen Ende eines Treffens ausmachen, sonst geht das leicht vergessen oder in plötzlicher Zeitnot unter.
Wir spazieren über den gerade eröffneten Weihnachtsmarkt vor der Tür, besorgen ein Geschenk für Belles Vater und sprechen über Arbeit und Pferde. Auf dem Weg zum grossen Anknipsen der Weihnachtsbeleuchtung (wir sind uns sehr bewusst, wo wir stehen möchten und was unsere Fluchtwege bei der zu erwartenden Menschenmenge sind) halten wir an einem Stand für ätherische Öle, wo die Verkäuferin partout nicht verstehen will, auf welche Art von Antwort unsere Frage abzielt, und hören dem singenden Weihnachtsbaum zu. Das ist ja eine dufte Sache – ich kannte das Konzept vorher nicht ...
Bald geht die Beleuchtung an. Wir stehen bereit und nehmen uns fest vor, den Moment nicht zu verpassen. Da steuert eine sympathische Frau auf uns zu und fragt ganz erregt: "Wissen Sie, was los ist? Wieso so viele Leute hier sind?" Wir erzählen von der Beleuchtung, woraufhin sie gleichermassen erleichtert und panisch antwortet: "Oh nei, da muessi flüchte!" Wir lächeln ihr zu, schauen uns an und ich raune Belle zu: "Wir in 20 Jahren ..." Weil mich Belles Lachen animiert, treibe ich es noch ein bisschen weiter und spiele vor, wie wir auch hätten reagieren können: "Was, haben Sie kein Radio gehört? Wir werden evakuiert! Die Helikopter landen jeden Augenblick, wir müssen weg." Allerdings befürchte ich, wir hätten damit einen Schwächeanfall oder Ähnliches bei der armen Dame ausgelöst und bin ganz froh, blieben wir wie immer bei der Wahrheit.
Ein kurzer Knips, ein bewunderndes "Oh", ein gut geplanter Rückzug und eine schnelle Umarmung später sitzen wir im Zug und lassen uns aus der Gefahrenzone bringen. Manchmal frage ich mich schon, was all diese Menschen zu solcher Stunde an solchen Orten wollen. Ich zum Beispiel wäre (unter anderen Umständen) auf keinen Fall hier gewesen.
Herzlich,
ani.actress
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