Hallo Sonnenschein
Belle nimmt an einem Reitlehrgang teil und erklärt begeistert, dass auch Zuschauer zugelassen sind. Da bin ich natürlich mit dabei!
Schnell meinem Freund erklärt, dass er meinen Hundedienst übernehmen muss, und eine Anfahrtsroute rausgesucht. Es stellt sich heraus, dass es relativ umständlich wird, am Sonntagmorgen vor Ort zu sein. Das ganze Wochenende meinen Pflichten fernbleiben kann ich auch nicht, aber was wäre, wenn Belle ein B&B mietet und ich schon am Samstagabend dazustosse?
Ich bin begeistert. Die Wohnungsbesitzer scheinbar auch, denn sie vermieten ihr Zimmer an diesem Abend gleich doppelt. Also weichen wir auf ein Hotel aus. Belle schickt mir die Reservationsbestätigung, damit ich flexibel einchecken kann.
Am frühen Abend treffe ich vor Ort ein – meine ich zumindest. Denn einen Eingang finde ich erst nicht. Mein Fehler... Wenn im Hotel Lumpi gebucht ist, ist doch völlig klar, dass sich die Rezeption im Gastraum des Restaurants Fiffi befindet. Ich versuche einzuchecken, doch der nette Herr hinter dem Tresen erkennt, dass dafür die Aufnahme meiner Daten erforderlich ist, was durchaus mit Arbeitsaufwand verbunden ist und möglicherweise gar Zeit in Anspruch nimmt. Er beschliesst, dass er den Check-In erst vollziehen wird, wenn Belle anwesend ist (ihre Daten sind schliesslich bereits im System). In der Zwischenzeit händigt er mir bereits eine Zimmerkarte aus. Lustig, er weiss nicht mal, wie ich heisse... Ganz kurz überlege ich, Belle zu schreiben, damit sie beim Einchecken so tut, als ob sie mit niemandem oder jemand komplett anderem verabredet ist, aber dann erinnere ich mich selbst daran, dass ich mir vorgenommen hatte, weniger zynisch (ist das hier das richtige Wort?) zu sein.
Ich beziehe also unser Zimmer und sehe mich um. Tolle Aussicht, direkt auf den Restauranteingang. Von hier aus werde ich Belle winken können, denn mit Sicherheit findet auch sie den Eingang nicht direkt. Ich würde gar vermuten, sie sucht länger als ich. Die bereitgestellte Nascherei wird genüsslich angefangen und ich überlege, was ich mit der geschenkten Zeit anfangen könnte. Da ich heute analog unterwegs bin, schalte ich schnell mein Telefon ein, denn ich befürchte, im wesentlichen Moment nicht am Fenster zu stehen, möchte aber die Ankunft von Belle auf keinen Fall verpassen. Sie ruft sicher an, sollte sie mich nicht finden. Ich zwinge mich allerdings, nach der PIN-Eingabe keinen Blick mehr aufs Display zu werfen und das Handy wegzustecken.
Was Belle wohl bereits gelernt hat? Evtl. möchte sie zunächst duschen, wenn sie kommt. Es würde also Sinn machen, dass ich bis dann bereits fertig bin. Ich hüpfe unter die Dusche (notabene erst, nachdem ich von aussen den Vorhang um die gänzlich durchsichtige Trennwand zwischen Zimmer und Bad (?!) gezogen habe) und werfe mich in meinen schicken Schlafanzug. Danach mache ich mir einen Tee und stelle mich ans Fenster. Eine Zeitlang beobachte ich die Nachbarn, den Kellner, der die Tische im Wintergarten eindeckt, und die Strasse. Es ist noch nicht wirklich spät, müde bin ich trotzdem. Also putze ich meine Zähne und verkrieche mich mit einem Buch ins Bett. "Tja, wer zuerst kommt, darf sich die Bettseite aussuchen", entscheide ich.
Eine halbe Stunde später ist von Belle noch immer keine Spur. Dafür fallen mir immer wieder die Augen zu. "Was soll's?", denke ich mir. Ich kann eine Weile vorschlafen. Der Mädelsabend wird sicher länger dauern, wir werden bis in alle Nacht hinein quatschen und müssen morgen früh raus, denn das Hotel liegt doch eine ziemliche Fussstrecke vom Stall entfernt. Da muss ich den Schlafmangel der letzten Woche ja nicht unbedingt mitnehmen. Ich tausche Buch gegen Schlafmaske und lasse das Licht direkt bei der Zimmertür brennen – nicht, dass Belle noch denkt, ich wolle nicht haargenau wissen, wie ihr Tag war. Scheinbar denkt sie genau das, denn als ich kurz erwache, ist der Raum dunkel und das Bett neben mir belegt. Die Person, die sich unter der Decke abzeichnet, könnte von der Statur her Belle sein. Ich dreh mich auf die andere Seite und schlafe wieder ein.
Erneut erwache ich, als Belle etwas ins Waschbecken fallen lässt. Auf mein gemurmeltes: "Guten Morgen!", kommt ein gehässiges: "Willst du jetzt mitkommen oder kommst du später nach?" Hä, was ist jetzt los? Zum Glück ist Belle was runtergefallen, hätte sie mich doch glatt schlafen lassen! Ich hatte natürlich keinen Wecker gestellt – die genaue Zeit zum Aufstehen hätten wir sicherlich noch besprochen – und so wie ich mich kenne, hätte ich so lange geschlafen, bis das Zimmerpersonal mir mitteilt, dass ich jetzt wirklich auschecken und das Zimmer räumen muss. Also hätte ich mich direkt wieder auf den Heimweg machen können. Ich habe überhaupt keine Lust auf angesäuerte Stimmung, schäle mich dennoch aus dem Bett. Das kann ja heiter werden.
Du fragst dich vielleicht, ob ich tatsächlich einen so tiefen Schlaf habe. Die Antwort lautet ja. Ich behaupte gerne, dass ich seit ich Schichtdienst (kein klassischer Schichtdienst, aber Arbeitszeiten mit erstem Arbeitsbginn um 04:00 Uhr und letztem Feierabend um 23:45 Uhr) geleistet habe zu jeder Tages- und Nachtzeit und bei sämtlichen Licht- oder Temperaturverhältnissen essen und schlafen kann. Quasi auf Knopfdruck. Diese "Fähigkeit" bildet sich zwar langsam zurück, ein Funke Wahrheit ist aber nach wie vor dran. Und ja, wenn ich schlafe, schlafe ich. Ich bin in diesem Punkt relativ angstbefreit und schlafe gemütlich durch die schlimmsten Unwetter, Lärmbelästigungen und anderweitigen Störungen. Auf der anderen Seite bin ich auch überzeugt, dass Belle absichtlich leise war.
Auf dem Weg zum Stall sprechen wir über die unterschiedlichen und doch deckungsgleichen Erwartungen gegenüber dem Vorabend. Mich reut der verpasste Mädelsabend im Hotel, obwohl der luxuriöse Abend ganz für mich und die vielen Stunden Schlaf natürlich auch ganz fantastisch waren. Den Quatschabend müssen wir bald nachholen! Belle erzählt vom ersten Seminartag und stimmt mich auf den Sonntag ein.
Am Ziel angekommen, misten wir die Boxen und befüllen Heunetze, bevor ich die anderen Teilnehmerinnen kennenlerne. Die Gruppe ist super angenehm und es herrscht eine gute Atmosphäre. Ich fühle mich wohl und freue mich auf den Kurs.
Begeistert werde ich Zeugin, wie Belle sich auf die neue Herausforderung einlässt. Sie macht sich gut und kann die Tipps der Seminarleiterin annehmen. Der Tag bei den Pferden vergeht wie im Flug, wir geniessen ein unglaublich leckeres Mittagessen und speziell in den Lektionen am Nachmittag kann ich auch für mich selbst und für mein sich aktuell in Planung befindendes Business etwas mitnehmen.
Auf dem Weg nach Hause bestaune ich einen wunderschönen Regenbogen, bevor ich den Bus nur um einige Sekunden verpasse und eine komplett neue Route nehmen darf. Nochmals kurz Freund und Hund gekuschelt (ich bin fast dreissig und die Trennung für eine Nacht fiel mir trotzdem schwer) und dann ab unter die Decke. Eine neue Woche wartet, neue Abenteuer wollen erlebt werden.
Herzlich,
ani.actress
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